Ilya Naishullers Filmdebüt überzeugt als rasantes Actionkino in Ego-Shooter-Manier. Hardcore (OT: Hardcore Henry) ist ein Trip für Cineasten und Gamer zugleich. Deutschland-Start: 14.04.2016.
Hardcore: schon der Vorspann wird dem Titel gerecht
Schon während der Vorspann über die Leinwand flattert, wird der Zuschauer von Hardcore darauf eingestimmt, was ihn in den kommenden ca. eineinhalb Stunden erwartet. Neben den Namen der Produzenten und Darstellern reihen sich die Gewaltszenen in Nahaufnahme wie auf einer langen, blutigen Perlenkette aneinander. Da wird eine abgebrochene Flasche ins Fleisch getrieben, ein Baseballschläger gegen einen Schädel geschwungen oder Pistolenkugeln verfolgt, wie sie Wunden reißen. Man wird mir nichts dir nichts ins kalte Wasser der Gewaltexzesse geworfen.
Genauso kalt erwischt es auch den Protagonisten in Hardcore. Henry wacht als menschliche Maschine in einem Labor auf und kann sich an nichts mehr erinnern. Auch das Sprechen funktioniert nicht mehr. Eine Wissenschaftlerin namens Estelle (Haley Bennett), die sich als seine Ehefrau vorstellt, schraubt ihm liebevoll die letzten Gliedmaßen an, um ihn zärtlich in sein neues Leben zu führen. Doch viel Zeit für ein inniges Wiedersehen bleibt den beiden nicht, denn der mit telekinetischen Fähigkeiten ausgestattete Superbösewicht Akan (Danila Kozlovsky) hat seine eigenen Pläne und stürmt die Laborräume. Schließlich stellt sich heraus, dass sich die wissenschaftliche Einrichtung im Bauch eines riesigen Luftschiffes befindet, das in schwindelerregender Höhe über Moskau schwebt. Kurzerhand fliehen die Eheleute via Ein-Mann-Rettungskapsel in die Metropole, wo sie jedoch nicht viel sicherer vor den Schergen Akans sind. Nach den ersten Kampfversuchen muss Henry alleine fliehen, trifft dabei aber kurzerhand auf den undurchsichtigen Jimmy (Sharlto Copley), der anscheinend helfen will. So beginnt die Suche der Killermaschine Henry nach seinem Feind Akan, seiner Frau Estelle und seinem gewaltsamen Schicksal.
Egoshooter-Parcour-Trip im Kinosessel
Die ersten Minuten des Films bauen sich zügig zur Actionmanie auf, die den gesamten Film durchsetzt. Für den Zuschauer bleiben nahezu keine Ruhepausen, in denen er sich mal gemütlich in seinen Kinosessel zurücklehnen kann, um die schönen Bilder zu genießen. Nein, in diesem Film ist man nicht nur bloßer Beobachter einer hübschen Geschichte. Ilja Naishuller versteht es, die vierte Wand aufzubrechen. Man wird zum Teil der Geschehnisse, schlüpft in die Rolle des Helden und ist Dreh- und Angelpunkt aller Handlung. Die nie wechselnde Ego-Perspektive erlaubt es, das Actionkino aus einem ganz anderen, zerstörerischen Blickwinkel zu erleben. Verfolgungen, Prügeleien und Schießereien werden zu einer intensiven Achterbahnfahrt. Die immer wiederkehrenden Parcoureinlagen gestalten das Erlebnis noch rasanter.
Selbstverständlich steht in einem solchen Kinoerlebnis das Visuelle im Vordergrund. Die Handlung wird durch die rapide Action beiseite geschoben. Vielmehr gerät Hardcore in die Schiene eines Ego-Shooter-Games, dessen rasante Erlebniswelt auf die Abwehr von Gegnern mit gewalttätigen Mitteln abzielt und immer mal wieder von Handlung unterbrochen wird. Diese Unterbrechungen sind aber mehr als gelungen, werden sie immerhin von äußerst interessanten Charakteren getragen. Da ist der Bösewicht Akan, dessen Pläne so undurchdringlich scheinen, wie auch seine durch Psykräfte unterstütze Deckung. Die Beziehung zwischen Henry und seiner Ehefrau verzückt mit einer bitteren Süße und dann ist da natürlich Jimmy. Dieser gerät zum Liebling des Zuschauers. Der Wiederkehrer ist beständiger Helfer von Supersoldat Henry und hat im Verlauf des Films so einige Überraschungen parat. Nicht zuletzt an seiner Person steht und fällt der Humor in Hardcore. Sharlto Copley gibt hier die komplette Farbpalette seines Overactings zum Besten.
Ilya Naishuller: neue Hoffnung fürs Actionkino?
Hardcore ist das Leinwand-Debüt von Regisseur Ilya Naishuller. Als Frontmann der Indie Rock Band Biting Elbows ließ er es sich nicht nehmen und drehte mit The Stampede und Bad Motherfucker zwei Musikvideos in genau der Egoperspektive, die Hardcore zu solch einem Trip macht. Die Videos gingen im Internet sprichwörtlich durch die Decke und so konnte die Naishuller-Erfolgsgeschichte mithilfe des Produzenten Timur Bekmambetov auf die Kinoleinwand erweitert werden.
Naishuller, seines Zeichens früher einmal selbst intensiver Gamer, gab uns im Gespräch zu verstehen, dass er das Actionkino mit dem Egoshooter-Erlebnis gern aufpeppen würde. Und ganz ehrlich: jeder, der aus dem Kinosaal geht, würde nach Hardcore gern genau dieses Game auf seiner Konsole spielen wollen.
Marc Zehmke
Bildquelle(n): Capelight Pictures