Der mit Abstand dickste Fisch im Netz der Kinostarts ist in dieser Woche natürlich „Rogue One: A Stars Wars Story“. Ansonsten aber wird das Kinoprogramm jetzt, da es auf Weihnachten zugeht, schon auffallend mager. Man kann zum Beispiel im Dokumentarfilm „Austerlitz“ von Sergei Loznitsa erleben, wie die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen im Sommer von Besucherströmen geflutet wird. Und sich fragen, ob diese vielen Menschen angemessen gekleidet sind, ob sie nicht gar besser auf einem Ausflug mit Picknick aufgehoben wären. Man kann sich auch vor dem Horror der Weihnachtseinkäufe und -märkte in den Psychothriller „Shut In“ flüchten. Oder sich einmal mit Malerei beschäftigen und sich das Künstlerbiopic „Paula“ über Paula Modersohn-Becker zu Gemüte führen.
Shut In
Regie: Farren Blackburn, Verleih: Universum/24 Bilder
Mary (Naomi Watts) arbeitet als Kinderpsychologin und pflegt ihren 18-jährigen Stiefsohn Stephen (Charlie Heaton). Seit einem Autounfall vor sechs Monaten, bei dem sein Vater ums Leben kam, ist Stephen gelähmt und unfähig, zu kommunizieren. Trotzdem will sich Mary auch um den fünfjährigen taubstummen Waisenjungen Tom (Jacob Tremblay) kümmern, der sich vor dem Jugendamt in das Haus seiner Therapeutin flüchtet. Doch so plötzlich, wie der Junge in der Nacht auftauchte, ist er auch wieder verschwunden, hinaus in den eisigen Winter. In den nächsten Tagen hofft Mary verzweifelt, dass Tom wieder auftaucht, während in ihrem Haus seltsame Dinge passieren. Verliert die einsame, überlastete Frau etwa den Verstand?
Seit Tagen kündigt das Radio einen Schneesturm über New England an. Alle Leute sollen ihre Häuser verlassen und in die Stadt ziehen. Aber Mary will mit dem hilflosen Stephen zu Hause ausharren, auch wenn sie selber merkt, dass sie psychisch angeschlagen ist. Mary kann stur sein und neigt leider dazu, sich viel zu viel aufzubürden. Das passiert dem Film selbst eher nicht, der auf halber Strecke allen Ehrgeiz über Bord wirft und auf ein banales Katz-und-Maus-Spiel zusteuert. Aber eines muss man dem Film lassen: Seine Jump-Scares funktionieren bestens und man verlässt das Kino nervlich mitgenommen.
Paula
Regie: Christian Schwochow, Verleih: Pandora Filmverleih
Im Jahr 1900 verbringt die 24-jährige Paula Becker (Carla Juri) einen Sommer in der Künstlerkolonie Worpswede. Sie liebt die Malerei, doch ihr Vater drängt sie, zu heiraten oder eine bezahlte Stelle anzunehmen. Paula heiratet den verwitweten Maler Otto Modersohn (Albrecht Abraham Schuch) und lebt mit ihm die nächsten sechs Jahre in Worpswede. Anders als er, malt sie nicht naturgetreu, sondern entwickelt einen eigenen, ausdrucksstarken Stil. Dann hält sie es in der patriarchalen Gemeinschaft nicht mehr aus und geht nach Paris, nimmt Kurse an der Akademie. Sie will sich von Otto Modersohn trennen, ist aber auf seine finanzielle Unterstützung angewiesen. Modersohn reist nach Paris, um sie zurückzugewinnen.
Paula Modersohn-Becker, die schon im Alter von 31 Jahren starb, ist eine renommierte Vertreterin des frühen Expressionismus. Das schön fotografierte Biopic arbeitet eindringlich heraus, wie sehr sie als Frau in Worpswede unter fehlender Anerkennung litt. Das Milieu der Pariser Boheme bildet einen starken, ansprechenden Kontrast zur landschaftlichen Stille in Worpswede. Im Zentrum des gut gespielten Dramas aber steht die Liebe zweier sehr verschiedener Menschen, die große Hürden – die Stellung der Frau, das Kunstverständnis – zu überwinden hat.
Bianka Piringer
Fotoquelle(n): Universum Film, Pandora Filmverleih