Geschichte trifft auf Natur von ihrer brutalsten Seite
Im Comic Manifest Destiny war die Lewis und Clark-Expedition von 1804 nicht das, was sie vorgab zu sein. Als sich die berühmten Entdecker auf den Weg machen, denken alle, es ginge um die Erforschung neuer Territorien in Richtung Westen. Doch der eigentliche Auftrag lautete, alle Monster zu vernichten, die eine Ausbreitung des amerikanischen Staates gefährden könnten. Der Weg für neue Siedler bis an den Pazifik sollte freigemacht werden.
Geschichtsunterricht pervertiert
‚Was soll das?‘ Hört man sich innerlich fragen. Was hat die Entdeckung einer Landpassage zur Pazifikküste Nordamerikas mit Monstern wie minotaurusartigen Büffelmenschen und parasitären Pflanzenzombies zu tun? Dann dämmert es langsam. Galten im 18. und 19. Jahrhundert nicht die amerikanischen Ureinwohner als Wilde oder gar Monster? Na klar! Man hat doch die unterschiedlichsten Stämme
ansässiger Eingeborener gar ausgerottet und im Verlauf von ca. einhundert Jahren Reservate für verbliebene Stämme eingerichtet. Liest und sieht man da etwa Subtext heraus? Und in der Tat: die monströsen Feinde der Expedition von Lewis und Clark deuten einerseits Kultur an.
Die Büffelmenschen tragen Waffen und lassen Stammeszeichnungen auf ihrer Körperoberfläche erkennen. An den Pflanzenzombies andererseits könnten sich die Geister scheiden. Lediglich einer menschlichen Sprache scheint sich das Muttergeschöpf bedienen zu können – immerhin ein Kulturmerkmal.
Was den Umgang der Expedition mit ihren gegnerischen Monstern angeht, scheint sich in Manifest Destiny auf hervorragende Art und Weise die Sicht auf stereotypes amerikanisches Verhalten bezüglich Feinden zu zeigen: was du nicht beherrschen kannst, vernichte! Und so erfüllt sich die grüne Landschaft des wilden, brutalen Westens mit dem Rauch der Destruktivität. Das Schicksal der Amerikaner ist es immerhin, das Land, die Natur und alles, was in ihr noch so lebt, zu besitzen. Chris Dingess skizziert dem Leser seiner Story also eine brutale Lesart des amerikanischen Traums, ins grotesk-monströse verkehrt.
Gewaltige Bildsprache
Die Bilder von Owen Gieni und Matthew Roberts zeigen ihren eigenen Witz und Charme auf die durchaus nicht immer ganz ernstzunehmenden und kantigen Charaktere. Das Grauen der ungeheuerlichen Natur steht im Kontrast zur illustren, aber zunehmend panischer werdenden Expeditionsbelegschaft mit breiten Paneelen, die auch gern wimmelbildhaft eine oder zwei Seiten ausfüllen.
Das Schlachtengetümmel von Mensch und Monstern kommt dabei mit einer enormen Geschwindigkeit voran. Schon 2014 in den USA bei Image erschienen, kommt Manifest Destiny nun endlich auch nach und nach über den Cross Cult-Verlag in unsere Lande heraus. Wer auf Monster und Zombies steht, kommt mit diesem Band auf seine Kosten. Dem Spaß am Monströsen bekommt man hier zu Genüge geboten. Kenntnisse des historischen Kontextes wären wünschenswert, sind aber nicht erforderlich.
Marc Zehmke
Bildquelle(n): © Cross Cult, c/o Amigo Grafik GbR, Hardy Hellstern & Andreas Mergenthaler GbR