Unter den vielen Filmstarts einer neuen Kinowoche haben die Dokumentarfilme oft einen schweren Stand. Dabei beschäftigen sich viele Werke in diesem Genre sehr spannend und engagiert mit aktuellen Problemen oder wenig bekannten Lebenswelten. Das tun diesmal zum Beispiel zwei interessante Dokus über Musik unter erschwerten politischen Bedingungen: „Mali Blues“ und „Raving Iran“. Unter den Kinostarts aus dem Bereich der Fiktion befindet sich das wunderschöne, nostalgische Antikriegsmelodram „Frantz“. „Findet Dorie“, das Sequel zur Animationsperle „Findet Nemo“, darf wohl von Haus aus mit regem Publikumsinteresse rechnen. Die anarchistisch getönte deutsche Komödie „Die letzte Sau“ könnte sich hingegen vor allem aufgrund von Mundpropaganda zu einem kleinen Kino-Hit entwickeln.
Frantz
Regie: François Ozon, Verleih: X Verleih
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs leben in einer deutschen Kleinstadt die Eltern des gefallenen Soldaten Frantz und seine junge Verlobte Anna (Paula Beer) in großer Trauer. Da erscheint am Grab des Verstorbenen ein junger Franzose. Adrien (Pierre Niney) sieht sich sofort Anfeindungen im Ort ausgesetzt. So weigert sich Frantz‘ Vater (Ernst Stötzner), den Franzosen in seiner Arztpraxis zu behandeln. Aber Anna führt Frantz ins Elternhaus des Toten ein, wo im Grunde alle neugierig sind, was Adrien mit ihm verbindet. Der sensible französische Musiker gibt sich als Studienfreund von Frantz aus. Er beteuert, dass sie beide als Pazifisten höchst ungerne in den Krieg zogen. Die Eltern schließen Adrien allmählich als Geistesverwandten von Frantz ins Herz. Doch dann beichtet Adrien der jungen Frau, die romantische Gefühle für ihn hegt, ein Geheimnis.
Die deutsch-französische Produktion basiert auf einem der ersten großen Tonfilme, „Der Mann, den sein Gewissen trieb“ von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1932. Der renommierte Regisseur François Ozon („Swimming Pool“) schwelgt auch aus Liebe zum Medium Film in einer Nostalgie, die den Blick in die Vergangenheit voller Zärtlichkeit begleitet. Die Entscheidung, in Schwarz-Weiß zu drehen, ist keine inhaltsleere Marotte, sondern wirkt elegant und authentisch als Annäherung an die Epoche nach dem Ersten Weltkrieg. Manchmal durchbrechen farbige Szenen den Fluss der Erzählung, wie um die Macht der Vorstellungskraft zu betonen. Der Film funktioniert als späte Aufarbeitung des hasserfüllten Nationalismus zweier Länder, und als bezaubernde Romanze. Kann die Liebe den Tod überlisten? Mit ihren Etappen und Wendungen bietet diese die Erzählkraft des Kinos feiernde Geschichte nicht nur große Gefühle, sondern auch philosophische Tiefe.
Findet Dorie
Regie: Andrew Stanton, Angus MacLane, Verleih: The Walt Disney Company
Das quirlige Fischlein Dorie ging seinen Eltern schon als Kind verloren. Schuld war Dories schusselige Vergesslichkeit, die ihr auch im Erwachsenenalter zu schaffen macht. Sie kann sich einfach nichts merken, nicht einmal zwei Sekunden lang. Aber Dorie sehnt sich nach ihrer Familie und Nemo und sein Vater beschließen, ihr bei der Suche nach den Eltern zu helfen. Auf der abenteuerlichen Reise lässt sich Dorie von plötzlich auftauchenden Erinnerungsfetzen leiten. Unterwegs wird sie von Nemo und seinem Vater getrennt.
Dreizehn Jahre nach dem Animationshit „Findet Nemo“ kommt nun die Fortsetzung, die zeigt, dass auch die Unterwasserwelt nicht vor dem Actionvirus gefeit ist. Genauer gesagt, ist für die Action hauptsächlich das Festland zuständig. Die Handlung führt das Universum der Meeresbewohner nämlich in Kontakt mit der Menschenwelt und bezieht sogar die Kaperung eines Lastwagens in voller Fahrt mit ein. Zuweilen erinnert die ereignisreiche Geschichte auch ein wenig an die belgischen Animationsfilme „Sammys Abenteuer“. Das Wiedersehen mit Nemo, seinem Vater und natürlich mit Dorie bereitet Vergnügen. Aber Dories Vergesslichkeit offenbart sich auch als ernstes Handicap, das dafür sorgt, dass der Tonfall nicht nur komödiantisch unbeschwert wirkt.
Die letzte Sau
Regie: Aron Lehmann, Verleih: drei-freunde / Neue Visionen
Dem schwäbischen Schweinebauern Huber (Golo Euler) steht das Wasser bis zum Hals. Sein Kleinbetrieb hat in der Konkurrenz mit großen Unternehmen der Agrarindustrie keine Chance. Als auch noch ein Meteorit auf sein Anwesen fällt, setzt sich Huber aufs alte Motorrad und fährt los. Im Beiwagen sitzt seine einzige überlebende Sau. Bald berichten die Fernsehnachrichten über anarchistische Aktionen eines geheimnisvollen Unbekannten.
Regisseur Aron Lehmann („Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“) nimmt den Unmut, der auf dem flachen Land wegen dem Niedergang unzähliger Kleinbetriebe herrscht, zum Anlass für eine deftige satirische Komödie. Das Roadmovie führt den aus Verzweiflung verwegenen Aussteiger Huber mit anderen gescheiterten Existenzen zusammen. Sie haben nicht nur die Ungerechtigkeiten satt, für die sie nichts können, sondern auch ihre Ohnmacht. Das sieht nach Revolution aus! Mit sicherem Gespür für komödiantisches Timing und witzige Zufälle spitzt Lehmann eine glaubhaft-sympathische Figurenzeichnung zu. Hubers Graffiti-Parole „So geht es nicht weiter“ entwickelt sich zur systemkritischen Filmbotschaft. Mit ihrer skurril-schrägen Handlung, ihrem Schwung und Eulenspiegel-Schalk bereitet diese Komödie großes Vergnügen.
Bianka Piringer
Fotoquelle(n): X Verleih, Walt Disney Studios Motion Pictures Germany, drei-freunde Filmverleih