FALLOUT 4 ist endlich da. Das Spiel, über das seit Jahren nur gemunkelt wurde. Die Ankündigung auf der E3 2015 mit den Worten „Release noch in diesem Jahr“ kam deshalb nicht nur uns so unwirklich vor. Und dann war es auch schon da. Auch wenn sich die Monate sicherlich für viele wie Jahrhunderte angefühlt haben. Aber diese Fans sind sowieso längst ins Ödland eingezogen. Wer ist also noch übrig? Diejenigen, die wissen wollen, ob es sich denn lohnt. Kurz gesagt: Ja. Geht los, kauft es euch. Fallout 4 ist ein mehr als würdiger Nachfolger.
Krieg. Krieg bleibt immer gleich.
In einer dystopischen Zukunft, welche den 50er Jahren angelehnt ist, hat die Menschheit den Nutzen der Atomenergie für mehr entdeckt als nur Waffen. Der technologische Fortschritt brachte neue Energiequellen, Haushaltsroboter, Atomgetriebene Autos und vieles mehr hervor. Es war eine glorreiche Zeit. Aber Krieg, Krieg bleibt immer gleich wie wir alle wissen. Wir beginnen mit einer sehr ausführlichen Charaktererstellung, in der gewohnt detailgetreu das Gesicht und die Statur der Hauptfigur modelliert werden darf. Danach dürfen wir einen Blick in unser idyllisches Heim werfen. Mama, Papa und Baby-Sohnemann führen das perfekte Familienleben, Haushaltsroboter Codsworth hat gerade Kaffee gemacht. Es klingelt an der Tür. Wir führen ein Gespräch mit einem Vertreter von Vault-Tec, der uns darüber informiert, dass wir im Falle eines feindlichen Atomschlages Unterschlupf in einer nahegelegenen Vault suchen dürfen. Genau dies passiert kurze Zeit später. Wir folgen also den aufgebrachten Bewohnern unserer Stadt und betreten den erwähnten unterirdischen Bunker, wo wir sogleich in Kälteschlaf versetzt werden. 200 Jahre später. Wir erwachen. Ein paar seltsam gekleidete Gestalten öffnen die Schlafkapsel, die uns gegenüber liegt und in der sich unsere Frau (oder unser Mann, je nachdem, welches Geschlecht wir am Anfang gewählt haben) und unser Sohn befinden. Sie entführen ihn. Kurze Zeit später öffnet sich auch unsere Kapsel und wir dürfen Vault 111 erkunden. Die Anlage ist zerstört und verwahrlost, von anderen Überlebenden keine Spur. Nach einem kurzen Trip verlassen wir den Schutzbunker und sehen das Ausmaß des Atomkrieges: Ein karges Ödland, alles ist zerstört, teile des Gebietes sind stark verstrahlt und überall lauern mutierte Tiere, plündernde Menschen und andere Monstrositäten. Der Überlebenskampf beginnt.
Abenteuer Postapokalypse
Wie erwähnt ist „Fallout 4“ genau das, was man als Fallout-Spieler (ab Teil 3) erwarten kann. Wer die Vorgänger gespielt hat, wird sich sofort heimisch fühlen. Natürlich waren die Jungs und Mädels bei Bethesda nicht untätig, es gibt einiges an Neuerungen. Manche davon empfand ich als sehr spaßig, andere haben mir nicht so ganz gefallen, aber dazu später mehr. In klassischer „Fallout“-Manier erkundet ihr als Spieler das riesige Ödland, welches euch von Anfang an offen steht. Missionen und Nebenaufgaben gibt es Tonnenweise, Entdecker kommen hier voll auf ihre Kosten. Folgt ihr der Story oder schaut ihr euch das riesige Fabrikgebäude dort hinten in der Ferne an? Die Wahl liegt ganz bei euch. Das Ödland ist voll mit Zeug zum sammeln, mehr als je zuvor. Von Waffen, Munition, Rüstungen und Nahrungsmitteln über Aktenordner, Sicherungen und Platinen bis hin zu Comicheften, Telefonen und Ventilatoren ist alles vertreten. Oftmals liegen diese Sachen einfach so herum oder befinden in Behältern wie Schränken und Werkzeugkoffern. Manchmal müsst ihr aber auch ein Terminal hacken oder ein Schloss knacken. Beides funktioniert wie in „Fallout 3“ und „New Vegas“ auch. Das Sammeln von vermeintlich wertlosem Schrott hat hier nun auch einen Sinn bekommen. Gesammeltes lässt sich in seine Komponenten zerlegen, mit denen ihr dann wiederum Upgrades für Waffen und Rüstungen oder auch Chems und Stimpacks fertigen könnt.
Sprechen, schleichen, schießen, plündern
Trefft ihr in einer der zahlreichen Siedlungen auf andere, nicht feindliche Bewohner, so könnt ihr mit nahezu allen sprechen und so Informationen erlangen oder neue Queste erhalten. Die Dialogoptionen an sich wurden dabei stark versimpelt, anstatt komplexer Dialogbäume haben wir grundsätzlich die Wahl zwischen 4 Antwortmöglichkeiten – diese beinhalten aber auch die bekannten perkbasierenden Optionen. So können wir mit entsprechenden Werten wie Charisma andere Überreden, uns neue Wege zu öffnen oder mehr Informationen preiszugeben. Die Schnellspeicherfunktion lässt sich auch in Gesprächen verwenden. Wenn wir uns gerade nicht mit Haushaltsrobotern unterhalten, sprechen wir mit dem geschäftlichen Ende unserer Schusswaffen. Meistens verlangt es Raidern, Supermutanten und Androiden nach einer Ladung Blei, Laserstrahlen oder Raketen. Von der 10mm-Pistole bis zum Fatman sind alle aus Fallout 3 bekannten Waffen dabei, plus noch ein paar mehr. Erledigte Schergen lassen sich wieder einmal bis auf die Unterwäsche plündern, und auch wenn man damit bei weitem nicht so viele Kronkorken verdienen kann wie noch zu Zeiten der Vorgänger, so sind sie doch eine gute Quelle für Rohstoffe. Interessant sind vor allem die improvisierten Waffen. Diese wurden, wie der Name schon sagt, notdürftig zusammengeschustert und werden von den meisten Gegnern im Ödland verwendet. Jede der Waffen lässt sich mit entsprechenden Werten im Talentbaum und dem erforderlichen Material verbessern. Aktionspunkte können dieses Mal auch zum Sprinten verwendet werden und die Strahlung ist nun mehr, als nur ein Zähler, der euch umbringt, wenn er 1000 erreicht. Strahlung verringert eure maximale Lebensenergie, ein frühzeitiges Entgegenwirken ist so unabdingbar. Die Zeiten, wo man mit 900 Strahlung herumlaufen konnte, sind vorbei. Das bekannte V.A.T.S.-Kampfsystem ist auch wieder mit dabei. Neu ist, dass die Zeit nicht mehr angehalten wird, das Spiel läuft in Zeitlupe weiter und ihr könnt auch weiterhin Schaden nehmen. Dazu kommt, dass Fallout 4 in Deutschland absolut ungeschnitten ist. In der Praxis können wir jetzt aber auch über Kimme und Korn zielen, und die Waffen sind so treffsicher wie noch nie, auch wenn es auf Konsole kein Auto-Aim gibt. Das sorgte zumindest bei mir dafür, dass ich V.A.T.S. so gut wie nie benutzt habe, denn die Treffsicherheit ist dort weit geringer.
Anständige Technik, super Sound
An alle, die sich fragen, wie es denn mit den von Bethesda-Spielen üblichen Bugs steht: mir sind keine großartigen begegnet. Ehrlich. Die Performance ist (auch auf den Konsolen) 1A. Grafisch hebt es sich nicht so sehr von den Vorgängern ab, wie man sich vielleicht wünschen mag, aber alles in allem wurde hier sauber gearbeitet und im Falle der Lichteffekte schon ein bisschen gezaubert. Ich hatte kaum mit Einbrüchen der Framerate zu kämpfen und abgesehen von einer Hand voll matschiger Texturen hier und da war alles sehr zufriedenstellend. Die Mischung aus Licht, Schatten und Musik/Soundkulisse erzeugt zudem eine teilweise schon an ein Horrorspiel erinnernde Gänsehautatmosphäre, da kann sich so mancher „Survival Horror“-Titel noch eine Scheibe abschneiden. Wartet mal ab, bis ihr mitten im ersten Strahlungssturm steht. Da bekommt man es ja schon fast mit der Angst zu tun. Bei der Sprachausgabe hat man auch nicht gespart, die Vertonungen sind sehr passend und glaubhaft rübergebracht. Im Gegensatz dazu stehen die Animationen der Menschen. Diese ist immer noch etwas hölzern.
Begleiter und das neue Perk-System
Relativ früh im Spiel werdet ihr einen altbekannten Freund wiedertreffen. Der Hund Dogmeat ist wieder mit von der Partie. Per Tastendruck können wir ihm Befehle erteilen, vor allem die Suche nach Waffen und Munition erweist sich als sehr praktisch. Zusätzlich kann er eucher Gepäck tragen, falls das Inventar einmal voll sein sollte. In der Theorie kann er euch außerdem im Kampf helfen, Gegner angreifen oder Festhalten. In der Praxis rennt er gern in eine Landmine rein, die ihr gerade entschärfen wollt oder greift einfach eine Gegnergruppe an, um die ihr gerade herumschleichen wollt. Ach, und er steht gern in Türrahmen herum und blockiert den Weg. Neben Dogmeat gibt es auch noch eine Menge anderer Begleiter. Um nicht zu viel zu verraten nenne ich jetzt nur noch einen: Codsworth, euer Haushaltsroboter, der seit über 200 Jahren auf euch warten musste, ist auch mit dabei.
Außerdem gibt es natürlich wieder das Perk-System, nur dieses Mal etwas anders. Das neue System, mit dem ihr euren Chrarakter verbessert ist so eine Sache für sich. Es mag simpler sein und den Einstieg erleichtern, aber als Spieler von Fallout 3 und New Vegas merkt man, wie eingeschränkt es eigentlich sein kann. Ein kleines Beispiel: Nehmen wir mal die Fähigkeit „Schlösser knacken“. Hat man in den Vorgängern bei der Charaktererstellung alle Punkte in diesen Skill investiert und auch bei den darauffolgenden Levelups immer schön Schlossknacken geskillt, konnte man in der Theorie noch vor dem Erreichen von Level 10 alle Schlösser öffnen. Fallout 4 verwehrt dem Spieler jetzt den Skill, bis er nicht mindestens Level 18 hat. Unabhängig davon, ob ihr die Skillpunkte dafür habt. Das empfand ich als ärgerlich, wenn aber auch nicht hinderlich. Voran geht es allemal, nur eben nicht so individuell auf meine Spielweise abgestimmt, wie ich es mir gewünscht hätte. Dafür ist es aufgrund des fehlenden Level-Cap möglich wirklich jeden im Spiel verfügbaren Skill zu erlernen.
Schaffe, Schaffe, Häusle baue
Eine der größten Neuerungen im vierten Ableger der Fallout-Reihe ist, dass ihr nun nicht einfach das zerstörte Ödland durchstreift, sondern es tatsächlich auch – mit einigen Begrenzungen – neu aufbauen könnt. Rohstoffe dienen nämlich nicht nur dem Umbau von Ausrüstung, sondern auch dem Aufbau der Spielwelt an sich. Ihr könnt hier mit einem relativ simplen Interface wirklich alles bauen, was euch beliebt. Zunächst reißen wir das ganze alte Zeug ab und fügen es dem Komponentenlager hinzu. Aus diesen basteln wir dann Fertighäuser, welche aus einfachen Platten entstehen und nach belieben ausgeschmückt werden können. Wir möbilieren ein Haus, bauen ein paar Betten und eine Wasserversorgung, pflanzen Gemüse an. Und damit wir nicht von Raidern oder Supermutanten überrannt werden, bauen wir noch ein paar Selbstschussanlagen und statten unsere Bewohner mit Waffen und Rüstungen aus. . Allerdings ist es auch meistens nicht erforderlich, überhaupt mit dem Editor zu arbeiten. Hier habe ich auch meine Powerrüstung geparkt. Diese sind nun keine direkt anlegbaren Rüstungen mehr, sondern richtige kleine Mechs, in die ihr wie in ein Fahrzeug einsteigen könnt. Jeder Teil der Rüstung lässt sich frei ändern und verbessern, im Prinzip habt ihr hier eine Rüstung für eure Rüstung. Diese funktioniert diesmal aber nur, wenn ihr sie mit Fusionskernen füttert. Klar, in der Powerrüstung ist man unmenschlich stark und widerstandsfähig, ein Limit an Nutzung zu haben ist da schon sinnig. Fusionskerne sind selten zu finden und verflucht teuer. Ihr müsst also überlegen, wann ihr eure Rüstung auspackt, und wann ihr sie lieber in der Garage parkt.
Was am Ende übrig bleibt
„Fallout 4“ ist genau das, was man als „Fallout 3“ und „New Vegas“ Spieler erwarten kann. Größer, besser, ein Stück hübscher und innovativer. Manch einem mögen die neuen Spielelemente nicht unbedingt zusagen, aber das Gesamtbild wird hiervon nicht beeinflusst. „Fallout 4“ bietet potentiell hunderte von Stunden Spaß, wenn man denn mit Endzeitszenarien, einer interessanten Geschichte, ordentlich Gore, Looten & Leveln und natürlich einem kleinen Schuss Horror etwas anfangen kann. Ich hatte – und habe immernoch – eine Menge Spaß mit dem Titel und freue mich über jeden neuen Fund, den ich im Ödland mache. Im Ernst, kauft euch das Spiel. Jetzt.
Stefan Scholz
Bildquelle(n): © 2015 Bethesda Softworks LLC.