Nach 5 langen Jahren geht die gleichermaßen emotionale wie auch brutale Reise des Marcus Fenix weiter. Jedoch nicht wie erwartet. So bietet Gears of War 4 nicht nur eine Reihe neuer Protagonisten, sondern wurde auch von einem neuen Entwickler verwirklicht. Hat das Studio „The Coalition“ unter der Leitung von Microsoft frischen Wind in die Reihe gebracht und dabei auch die alten Stärken nicht vergessen? Dieser Spagat klingt nach einer nahezu unmöglichen Meisterleistung. Wir haben uns für euch in die knapp 10 Stunden lange Kampagne gestürzt.
Es gibt ein Erwachen. Spürst du es?
Das geschichtliche Grundgerüst von Gears of War 4 erinnert tatsächlich sehr stark an „Star Wars Episode VII – Das Erwachen der Macht“ – in vielerlei Hinsicht. Der Sieg gegen die Locust hat nicht den erhofften Frieden für die Bevölkerung Seras gebracht. Stattdessen nutzen korrupte Politiker den Sieg dafür aus, die Menschen nun in Camps unter Kontrolle zu halten. Zudem haben der andauernde Krieg und die starke Zerstörung der Erde für verheerende Wetterverhältnisse gesorgt. Dadurch sind tödliche Gewitter nun nahezu alltäglich. Dies zwingt die Bevölkerung dazu, entweder nach der Pfeife der Regierung (KOR) zu tanzen oder sich à la Mad Max in Slums zusammenzuraufen.
Wir spielen JD – einen jungen Söldner, der zwar eine Vergangenheit mit der KOR zu haben scheint, inzwischen aber zu den Rebellen gehört – und diese sind lieber selbst für ihr Überleben verantwortlich. Nachdem Gears of War 4 die Geschichte der ersten drei Teile grob in einem großen Tutorial-Akt zusammenfasst, schlüpfen wir auch schon in die Haut des Sprücheklopfers. Wir überfallen zusammen mit seinen Freunden Kait und Del ein sich im Aufbau befindliches KOR-Dorf um Rohstoffe für unser Lager zu bekommen. Doch kaum sind wir zurück in der heimischen Siedlung und haben die angreifenden KOR-Roboter erfolgreich abgewehrt, kehrt ein alter Feind in Form der Locust zurück. Die Anführerin der Siedlung und gleichzeitige Mutter von Kait wird entführt. JD hat damit nicht nur einen Grund, um in die Schlacht zu ziehen, sondern auch um einen ganz besonderen Veteranen um seine Hilfe im Kampf gegen die Locust zu bitten: seinen Vater Marcus Fenix.
Ein halbes Squad
Obwohl das 4er Team zusammen mit Marcus wieder komplett ist, lässt sich die Kampagne von Gears of War 4 nur zu zweit spielen. Ein Rückschritt im Vergleich zum Vorgänger und ein zu keiner Zeit nachvollziehbarer Schritt des Entwicklers. Spätestens mit dem sichtlich gealterten Marcus, werden die Parallelen zu „Das Erwachen der Macht“ deutlich, nimmt dieser doch ähnlich zu Han Solo in Star Wars Episode VII eine mürrische Mentorrolle ein, welche die Bühne für eine neue Generation von Helden frei macht und höchstens als „Fan-Service“ bezeichnet werden kann.
Tatsächlich vermisst man die alte Crew kaum bis gar nicht. JD, Kait und Del wurden wieder hervorragend und „Gears-typisch“ geschrieben. So findet sich auch in Gears of War 4 zwischen all dem blutigen Gemetzel und der Action nicht nur Platz für coole One-Liner, die selbst John McClane eifersüchtig machen würden. Dazu gibt es auch jede Menge Raum für Charakterentwicklung und Emotionalität. JD, welcher sich sehr wohl bewusst ist, nicht irgendeinen Vater zu haben und trotzdem den klassischen Generationenkonflikt auslebt. Kait die um alles in der Welt ihre Mutter retten will, jedoch stets bemüht ist ihren Hitzkopf zu unterdrücken, um ihre Freunde nicht zu gefährden. Und Del, den sympathischen Klugscheißer, der für die nötige Portion Comedy sorgt, sowie natürlich Marcus, der sich fragt wie er nach gefühlt 50 Jahren erneut in so einer scheiß Situation landen konnte.
Alles beim Alten… oder doch nicht?
Sobald Marcus uns dann den Lancer in die Hand wirft, fühlen wir uns als alte Gears-Veteranen sofort wie zu Hause. Allen Neulingen wünschen wir die nächsten Stunden erstmal viel Spaß beim Zersägen von Gegnern. Zusätzlich dazu bietet Gears of War 4 alles, was man von einer gelungenen Fortsetzung erwartet und von den alten Teilen kennt und liebt. Das aktive Nachladen, welches jedes Feuergefecht zu einem reinen Adrenalinkick entwickelt. Von der Gnasher über die Hammerburst, Boomshot und Mulcher und sogar einer kurzen Szene mit der Hammer of Dawn ist auch waffentechnisch alles vertreten. Die smoothen Bewegungen und das Genre-definierende Deckungssystem sind ebenfalls wieder mit an Bord. Es ist Gears of War – mit jedem Atemzug.
On Top dazu haben „The Coalition“ erfolgreich Bruchstücke des neuen Horde-Modus „Horde 3.0“ in der Kampagne eingebaut. So werden Spieler damit vertraut gemacht. Im Mittelpunkt des überarbeiteten Modus steht der Fabrikator. Eine Maschine, welche nicht nur Waffen und die dazugehörige Muntion, sondern auch Fallen, Geschütze, Hindernisse und alles, was man sonst noch so vom Horde-Modus kennt, erstellen kann. Die größte Neuerung von „Horde 3.0“ sind jedoch die Klassensysteme. Diese fördern sowohl Teamplay als auch Taktik im Vergleich zu den Vorgängern massiv.
Hübsch, hübscher, Gears of War 4
Technisch ist Gears of War 4 das wohl schönste und beeindruckendste Spiel seit Uncharted 4. Das Sound-Design ist der Wahnsinn. Jedes noch so kleine Staubkorn hinterlässt nicht nur visuell, sondern auch akustisch einen bleibenden Eindruck. Zersägt man mit seinem Lancer gerade einen KOR-Roboter, nimmt man sofort das sich ineinander verbeissende Metall zusammen mit den wild umhersprühenden Funken wahr. Rennt man hingegen in einem der mörderischen Stürme durch eine vor sich hinrottende Flora um sein Überleben, kann man den peitschenden Wind praktisch spüren. Atmosphäre und Präsentation sind umwerfend. Doch selbst die Xbox One S stößt bei diesem Spektakel an ihre Grenzen, weshalb die Kampagne von Gears of War 4 lediglich in 30FPS läuft. Der Multiplayer hingegen läuft in 60FPS, was sich vor allem in den Reaktionszeiten, dem aktiven Nachladen und den Bewegungsabläufen positiv bemerkbar macht.
Gears of War 4 – unser Fazit
The Coalition verlassen sich mit Gears of War 4 etwas zu sehr auf die Stärken des Vorgängers. Dabei riskiert man bis auf Horde 3.0 wenig Neues. Summa summarum macht dies Gears of War 4 sicherlich zu keinem Meisterwerk – mindestens jedoch zum unterhaltsamsten Action-Shooter des Jahres. Epic Games haben mit Gears of War 1-3 eine Trilogie geschaffen, die nicht nur Genre-revolutionierend war, sondern inzwischen für ein ganzes Franchise steht. Diese Fußstapfen auszufüllen und den Erwartungen gerecht zu werden ist nicht leicht. Doch auch wenn Gears of War 4 die Messlatte nicht höher legt, handelt es sich hierbei um ein qualitativ unglaublich konsistentes Erlebnis. Dabei steht der Spaß deutlich im Vordergrund.
Kevin Kunze
Bildquelle(n): Microsoft