Agent 47 ist zurück
Wobei “Agent 47 war schon da” eigentlich treffender ist, denn der neue Hitman Teil lässt euch die Anfänge des Auftragmörders bei der ICA erleben und spielt somit mehr als 20 Jahre vor dem Vorgänger Hitman: Absolution. Genaugenommen handelt es sich aber auch nicht um einen Teil, sondern um mehrere, denn Square Enix hat sich diesmal für ein Episodenformat entschieden. Wie für das Format in der Branche üblich, können also entweder die Episoden einzeln oder das Gesamtpaket, das hier nicht Season Pass, sondern “Das gesamte Erlebnis” genannt wird, gekauft werden. Episode 1 ist bereits erschienen und schlägt mit 15 € zu Buche, das Paket kostet 60 €.
In den Menüs fällt auf, dass sich das Spiel sehr gut anpassen lässt. So konnte ich nicht nur, was für Konsolenversionen höchst untypisch ist, die FPS Zahl feststellen oder unbeschränkt lassen, sondern auch zahlreiche HUD Elemente und Hilfseinblendungen deaktivieren. Die Grafik selbst macht gerade in der letzten Mission einen sehr guten Eindruck und die Räume sind detailverliebt gestaltet. In den Außengebieten der selben Mission sind ein paar eckige Pflanzen zu finden und auch einen kurzen Ruckler konnte ich bei einem Missionsdurchlauf bemerken, insgesamt ist Hitman aber toll anzusehen. Das liegt unter anderem auch daran, dass das Spielprinzip eher auf Heimlichkeit und weniger auf Action basiert. Trotzdem brach die Bildrate auch dann nicht dramatisch ein, wenn ich gezielt versucht habe, die Engine in die Knie zu zwingen. Selbst einer von mir ausgelösten NPC-Massenpanik konnte die Performance größtenteils standhalten. Übrigens lässt sich, ebenfalls untypisch für Konsolenspiele, das Spiel in den Story Missionen zu fast jedem Zeitpunkt manuell speichern. Bereits zu Beginn macht sich aber auch ein kleiner Schwachpunkt des Spiels bemerkbar: die Ladezeiten vor den Aufträgen sind mitunter recht lang.
In den ersten drei (eigentlich sind es zwei, denn die erste spielt man zweimal) Missionen absolvierst du als 47 dein sinnvoll als Einstiegstest in die Organisation getarntes Tutorial. Anschließend verschlägt dich dein erster richtiger Auftrag nach Paris. Auf einer dortigen Modenschau sind zwei Personen anwesend, die noch vor einer brisanten Auktion ausgeschaltet werden müssen. Der Auftraggeber MI6 ist nämlich aufgrund der dort angebotenen Informationen in höchstem Grad gefährdet.
Glück für den MI6, dass das Gleiche für die Ziele 47’s gilt.
Once you call that number, blood is on your hands.
Dem Hitman stehen zwar die wenigsten Wege offen, aber niemand schafft sich Pfade wie dieser Killer. Obwohl klassisches Stealth Gameplay im Sinne der Beobachtung von Wachpatrouillen und ihrer Umgehung durch perfektes Timing oder geducktes Schleichen möglich ist, liegt 47’s eigentliches Talent in der Anpassungsfähigkeit. Wie der markante Glatzkopf als unauffälliges Allerweltsgesicht gelten kann, ist mir zwar gerade aufgrund seines mit einem Strichcode versehenen Hinterkopfes schleierhaft, scheint innerhalb des Hitman Universums aber der Fall zu sein. Denn sobald der Agent in der Umgebung eine Uniform findet (oder sie einem Opfer abnimmt) und in diese hineinschlüpft, eröffnen sich ihm neue Bereiche, wobei die wenigsten Personen misstrauisch werden.
Ein Beispiel: als ganz gewöhnlicher Gast habe ich auf der Modenschau keinen Zutritt zu den meisten Bereichen. Also sehe ich mich um, bis ich schließlich eine Abstellkammer finde, in der sich ein Schrank und ein Staubsauger befinden. Ich schalte diesen also ein, woraufhin sich ein Wachmann zwei Türen weiter über den Lärm wundert. Als er den Raum betritt lauere ich bereits im Schrank. Ein breites Grinsen zieht sich über mein Gesicht. Mein reelles wohlgemerkt, denn 47 ist nicht wirklich der Typ für solche Gefühlsausbrüche. Der Wachmann, der eben noch für einige Gäste gut sichtbar und somit unerreichbar im Foyer stand, ist mir nun hilflos ausgeliefert. Nachdem ich ihn also lautlos bewusstlos gewürgt habe, denn jede Tötung abseits der Hauptziele bringt immensen Punktabzug in der Endbenotung, kann ich mir seine Security Uniform überstreifen.
Nachdem ich ihn in dem Schrank verstaue, damit er nicht gefunden wird (auch das gäbe nämlich Abzug), kann ich jetzt also im Foyer die mir vorher untersagte Treppe hinaufgehen. Direkt vorbei an den Kollegen des Wachmanns, die (mit wenigen, durch das Spiel klar sichtbar gemachten Ausnahmen) nicht stutzig werden, wer dieser Neue in der Uniform ist. Etwas merkwürdig wirkt das manchmal, trübte zumindest mir aber nicht das Spielerlebnis. Außerdem würde ohne diesen Umstand das Spielprinzip wohl auch entweder überhaupt nicht funktionieren oder wäre mehr Krampf als Spiel. Zurück zur Uniform: damit könnte ich mir jetzt auch die Schrotflinte holen, die ich bei der Erkundung des Anwesens gesehen habe… In den Händen eines Wachmanns würde sie ebenso wenig Aufsehen erregen wie das Sturmgewehr, das ich mir in der Planungsphase der Mission an einen bestimmten Ort liefern lassen kann. So könnte ich mich damit unauffällig sichtbar für die gesamte Modenschau bis an die Ziele heranpirschen und dann das Feuer eröffnen. Auch so ein Vorgehen ist durchaus möglich, wobei offener Kampf zumindest in der ersten Episode schneller als noch in Absolution mit dem virtuellen Ableben bestraft wird.
Zudem muss ich sagen: auch wenn der Kampf gut funktioniert, gibt es für Fans von 3rd-Person-Shootern mit Sicherheit lohnendere Titel. Zumal die Missionen bei diesem Vorgehen noch schneller abgeschlossen sind, als es ohnehin schon der Fall ist. Für die gesamte erste Episode – wir erinnern uns: Kostenpunkt 15 € – lässt sich eine Spieldauer von ca. 2 Stunden einrechnen. Je nach Spielweise kann man natürlich auch deutlich weniger Zeit benötigen oder erheblich länger brauchen. Mehr Missionen als die drei (bzw. zwei) Tutorial Missionen und den Auftrag in Paris enthält die Episode aber nicht.
Dabei ist allerdings noch zu erwähnen, dass der in Absolution eingeführte Modus “Contracts” auch hier wieder dabei ist. In diesem können Spieler die Karten der Story Missionen ohne vorgegebene Attentatziele spielen und sowohl die Ziele, als auch besondere Tötungsfaktoren, wie z.B. eine bestimmte Tatwaffe oder Verkleidung, die dabei getragen wird, direkt durch ihr eigenes Vorgehen bestimmen. Anschließend lassen sich diese so erstellten Aufträge dann übers Internet hochladen und können von anderen Spielern gespielt werden. So ergibt sich ein enormer Wiederspielwert. Gerade deshalb muss ich hervorheben, dass der Wiederspielwert, selbst ohne den Contractsmodus, definitiv als Faktor in die Preis/Leistungsentscheidung einbezogen werden sollte. Der Auftrag in Paris findet nicht nur in einem vor allem in die Vertikale ausuferndem Gebäude statt, sondern ist auch mit versteckten Waffen und sich offenbarenden Tötungsgelegenheiten gefüllt. Beim ersten Mal habe ich eins meiner Ziele beispielsweise mit einem herabfallenden Kronleuchter getötet. Aber habe ich nicht kurz vorher gehört, wie er einer anderen Person am Handy ein Treffen unter zwei Augen zusagte? Was wäre, wenn ich diese Person aufspüren und in ihre Kleidung schlüpfen könnte? Oder ist vielleicht an dem Gespräch etwas dran, dass ich in der Küche aufgeschnappt habe: hat meine Zielperson tatsächlich einen ausgefallenen Lieblingscocktail? Und habe ich in der Besenkammer nicht etwas Rattengift gefunden…?
Obwohl die KI in vielen Situationen glaubwürdig agiert, kann ich sie insgesamt leider nicht als besonders gut bezeichnen. Das liegt daran, dass NPCs mitunter bereitwillig in offensichtliche Todesfallen laufen. In den ersten Momenten ist es belustigend, wenn eine Wache nach der anderen einzeln in den Keller hinuntersteigt, weil sie ein Geräusch gehört hat und sich quasi mutwillig zu den übrigen Leichen gesellt. Ein authentisches Spielgefühl kommt so aber nicht auf. Dazu muss ich allerdings sagen, dass ich solche Situationen bewusst provoziert habe. Bei eleganterem Vorgehen kommt dieses Schwäche der KI nicht zum Tragen.
Für mich ist Hitman ein einzigartiges Erlebnis in der Videospielwelt. Dieses Gefühl, mitten in der Menge unsichtbar zu sein, alle Fäden in der Hand zu halten und zuzusehen, wie die Fallen zuschnappen, wie ein Plan aufgeht, kann mir kein anderes Spiel vermitteln. Deswegen empfehle ich es allen Hitman Fans, Anhängern des Stealthgenres und Geheimagenten-Enthusiasten. Spielern, die die gleiche Mission nicht gerne mehrmals spielen, um einen höheren Highscore zu erzielen oder andere Wege zu finden rate ich allerdings dazu, noch die folgenden Episoden abzuwarten. Diese werde ich hier beim AGM Magazin natürlich ebenfalls testen. Auch handlungsfokussierten Spielern kann ich bislang nur vom Kauf abraten, da sich in der ersten Episode noch kein wirklicher Plot entwickelt. Ob für alle anderen der Kauf des Gesamtpakets oder erstmal einer einzelnen Episode sinnvoller ist, kann ich leider noch nicht beurteilen. Wer also das “Gesamterlebnis” jetzt schon ersteht, setzt damit großes Vertrauen in eine Leistung, die Entwickler und Publisher erst noch erbringen müssen. Episode 1 stimmt mich aber optimistisch und ich freue mich schon jetzt sehr auf die nächsten Missionen.
Ein letztes und dafür großes Aber folgt diesem Fazit allerdings noch. Denn obwohl Hitman ein reines Einzelspieler Spiel ist, möchte es einen in den Onlinemodus zwingen. Denn sobald die Konsole oder auch nur das Spiel selbst offline sind, sind nicht nur die “Contracts” Aufträge nicht mehr verfügbar, was mit viel Großmut noch zu verstehen wäre. Auch die Herausforderungen, also bestimmte Vorgehensweisen innerhalb der Mission, sind offline nicht verfügbar. Selbst Gegenstände, die zuvor online freigeschaltet wurden, sind nicht mehr verfügbar, sobald das Spiel offline geht. Zudem sind Offline- und Online-Speicherstände getrennt: wer also online seinen Fortschritt gespeichert und dann einen Internet Ausfall hat, verreist oder ähnliches, kann offline schlicht nicht mehr da weiterspielen, wo er aufgehört hat. Das Gleiche gilt auch andersrum: wer offline speichert und später dort weiterspielen möchte, muss auch offline weiterspielen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen bedeutet genau dieser Umstand auch, dass man selbst bei einem kurzzeitigen Ausfall der Internetverbindung gnadenlos aus dem laufenden Spiel ins Hauptmenü geworfen wird. Jedem, der eine unstete (oder gegebenfalls sogar gar keine) Internetverbindung hat, kann ich also nur dringend vom Kauf dieses Spiels abraten. Diese Entscheidung seitens des Publishers kann ich absolut nicht nachvollziehen, denn gerade Hitman ist mit seinem wie gesagt schmalen Umfang sehr auf die “Contracts” und die Herausforderungen angewiesen.