Der Anwalt, dem Videospieler vertrauen, muss sich in Phoenix Wright: Ace Attorney – Spirit of Justice in einem Land behaupten, aus welchem Strafverteidiger verbannt wurden. Ein Rechtsbeistand, der sich trotzdem vor einen Richter traut, droht gar die Todesstrafe. Phoenix Wright, seit jeher ein strahlender Ritter, lässt sich davon aber nicht abschrecken und kämpft juristisch für das Gute. Die nunmehr sechste Episode der Ace Attorney-Reihe überzeugt mit einer gewohnt abgedrehten Story und wahnwitzigen Charakteren, schleppt aber immer noch die obligatorischen Gameplay-Ärgerlichkeiten mit sich herum.
Falsche Idylle
Ein Jahr nachdem die Wright Anything Agency um Nachwuchs-Anwältin Athena Cykes verstärkt wurde und einen absurden Fall nach dem anderen vor Gericht lösen musste, gönnt sich der mittlerweile 35-jährige Spitzenanwalt Phoenix Wright eine kleine Auszeit. Das idyllische Land Khura’in ist traditionsverbunden, sehr religiös und wird von einem warmherzigen Völkchen bewohnt. Der wahre Grund, weshalb sich Phoenix dieses Fleckchen als seinen Urlaubsort auserkoren hat, hört jedoch auf den Namen Maya Fey. Seine langjährige Wegbegleiterin befindet sich im religiösen Dienste des Staates – und einem Wiedersehen sehnt Phoenix schon lange entgegen.
Alles kommt anders. Noch bevor er Maya zum ersten Mal sehen kann, muss er zusehen, wie einem unschuldigen Jungen ein Mord untergejubelt wird. Schlimmer noch: Vor Gericht steht er gar ohne Verteidigung da. Der Spitzenanwalt lässt es sich nicht nehmen, mit stolzer Brust in die Verhandlung zu stürzen und den Fall zu übernehmen.
Der gefährlichste Job der Welt
Ein dummer Fehler. Denn Anwälte sind in Khura’in nicht nur verpöhnt, sondern gänzlich verboten. Sie gelten als dreckige Wahrheitsverdreher, auf denen die Hölle wartet. Sollte ein Angeklagter für schuldig befunden werden, gilt dasselbe Urteil auch für seinen Anwalt – bis hin zur Todesstrafe. Stattdessen werden Gerichtsurteile von einem Medium gefällt, das in einer Séance den Tatvorhergang aus der Sicht des Opfers schildert. Zweifel ausgeschlossen. Dummerweise identifiziert diese Vision ausgerechnet unseren Mandaten als Täter…
Das Rechtssystem der Ace Attorney-Reihe wirkte schon immer dystopisch. Auch wenn bereits zweifelsfrei bewiesen wurde, dass ein Angeklagter unmöglich eine Tat vollzogen haben könnte, ist der Schuldspruch eine Gewissheit, solange wir nicht den wahren Täter identifizieren können. (Laut einigen sei dies übrigens eine satirische Verarbeitung des japanischen Rechtssystems, in welchem Freisprüche eine Seltenheit darstellen). Dieser Aspekt der Reihe kommt in Spirit of Justice besonders gut zur Geltung. Denn in Khura’in erkennen endlich auch die Helden an, dass die Rechtssprechung einem wahren Alptraum gleicht. Dies schenkt Ace Attorney – Spirit of Justice zwischen aller Abgedrehtheit auch einen neuen Funken Glaubwürdigkeit.
Apollo Justice darf gemeinsam mit Athena im heimischen Japan USA ebenfalls wieder sein Verhandlungsgeschick beweisen. Schade: Auch in seinem dritten Spiel mangelt es Apollo an einer wahrlich eigenen Stimme. Zu oft wirken die Gedanken und Dialoge von Phoenix und seinem Lehrling austauschbar.
Altlasten
Phoenix Wright präsentiert sich als Adventure, war in Wahrheit aber schon immer sehr eng mit dem Visual Novel-Genre verwandt. Dies erklärt einige der Gameplay-Eigenwilligkeiten, die sich bereits seit 15 Jahren durch die Reihe ziehen und auch in Phoenix Wright: Ace Attorney – Spirit of Justice wieder einmal vertreten sind. Wie immer gilt es zu jedem Moment einer Gerichtsverhandlung genau das Beweisstück zu zücken, welches das Spiel gerade erwartet, um sein lineares Skript fortzuführen. Egal, ob mehrere Beweisstücke logisch wären oder das vom Spiel vorhergesehene gar weniger sinnvoll erscheint. Wenn man in der Aussage eines Zeugen eine klaffende Logiklücke entdeckt, diese aber nicht ansprechen kann, weil die Spiellogik gerade etwas anderes erwartet, entgleist der sonst so tolle Flow des Spiels. Das ist schade: Denn wenn alles glatt läuft, entwickelt sich ein wilder Schlagabtausch toller Dialoge mit wahnwitzigen Twists und einer epischen Musikuntermalung.
Ich sehe was, das du nicht siehst und das ist dein Tod
Nachdem Dual Destinies die Gerichtsverhandlungen mit Emotionsanalysen auflockerte, fügt auch Spirit of Justice dem Gerichtsalltag ein neues Feature hinzu. In einer Séance zeigt uns ein Medium, wie die Sinne eines Todesopfers die letzten Lebenssekunden wahrgenommen hat. Doch passt das alles auch zusammen? Stimmt das Gesehene mit dem Gehörten überein? Oder tun sich neue Ungereimtheiten auf? In Fällen, die nicht von Phoenix in Khura’in, sondern von Apollo und Athena in der Heimat gelöst werden, gibt es dieses Feature jedoch nicht. Stattdessen kommen hier die aus Dual Destinies bekannten Emotionsspielereien zum Einsatz. Steht das, was ein Zeuge sagt, im Einklang zu seinen Emotionen?
Der Versuch das Gameplay mit neuen Elementen aufzulockern, ist gelungen, kann aber nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass es vielleicht Zeit wäre, das eingefahrene Ace Attorney-Spielprinzip etwas weitergehender zu überarbeiten, als nur um kleine Gimmicks zu erweitern.
Das Herz von Phoenix Wright: Ace Attorney – Spirit of Justice bilden die tollen Charaktere und ihre abgedrehten Dialoge. Egal ob Freund, Zeuge oder Staatsanwalt – auch Spirit of Justice präsentiert ein Sammelsurium abgedrehter Charaktere, die herrlich detailverliebt und mit wundervollen Animationen zur Geltung gesetzt werden. Leider kann die Rahmenhandlung nicht ganz mithalten: Spirit of Justice beginnt und endet großartig. Leider gibt es dazwischen jedoch ein, zwei Fälle, die nach Filler riechen und zu sehr in die Länge gezogen sind.
Fazit: Phoenix Wright: Ace Attorney – Spirit of Justice
Seit Trials & Tribulations – in den Augen vieler Fans das beste Spiel der Reihe – hat Ace Attorney Schwierigkeiten an seine alten Höhepunkte anzuknüpfen. Apollo Justice fiel für viele Fans durch, Dual Destinies wusste wieder versöhnlich zu stimmen, war aber noch nicht ganz da. Auch Phoenix Wright: Ace Attorney – Spirit of Justice erreicht nicht ganz die Klasse der ersten Trilogie, kommt ihr aber so nahe wie kein anderes Spiel seither. Dank seiner tollen Charaktere, wahnwitzigen Fälle, einer Menge Humor und einer einwandfreien Präsentation zeigt Spirit of Justice einmal mehr, weshalb Ace Attorney von seinen Fans so sehr geliebt wird. Gleichzeitig wird man das Gefühl jedoch nicht los, dass es langsam an der Zeit wäre, einige Serienkonventionen zu hinterfragen, statt sie hinter neuen Gimmicks zu verstecken.
Julian Krause
Bildquelle(n): Capcom