Am 10. Juli erreichte eine Revolution ihren Höhepunkt. Das neue Album der Berliner Hip Hop-Formation K.I.Z erschien: „Hurra die Welt geht unter“. Im Vorfeld zu Ihrem Release trafen wir die vier Jungs aus Berlin und sprachen mit ihnen u.a. über ihren paramilitärischen Hip Hop-Umsturz, das Ende der Welt und den typischen K.I.Z-Fan – nachzulesen in der aktuellen Ausgabe des AGM-Magazins. Im November tritt die Gruppe schließlich aus ihrer Guerillataktik in den offenen Kampf ihrer Tour. Zeit, um Album und Interview noch einmal zu rekapitulieren.
Ende April 2015 startete eine Revolution, die nicht nur Rapdeutschland in ihren Grundfesten erschüttern sollte. Ausgangspunkt war eine perfekt geplante und in ihrer Ausführung nicht minder revolutionäre Promotionaktion der deutschen Rapkombo K.I.Z. Die Kannibalen in Zivil: das sind Nico (32), Sil-Yan aka DJ Craft (30), Tarek (29) und Maxim (28), welche sich auch gern als „geilen“, „mega hotten“ „Mythos“ sehen. Mit einem gesunden Selbstvertrauen ausgestattet, verkündeten sie mit dem Start ihres fünften Studioalbums am 10.07.2015 nicht weniger als den Weltuntergang. In dieser frohen Botschaft stilisierten sie sich mit allerhand diktatorischem Pomp, stifteten sich eine eigene Hymne („Das Kannibalenlied“) und stimmten den Freund des gepflegt zynischen Hip Hops auf das beschworene Ende der Welt, mit zündelnden Propagandabotschaften aus dem hauseigenen Bunker, ein.
Nach ihrem Selbstbild als Diktatoren gefragt, scheinen sich die vier Berliner einig. NICO: Das sagen wir nie über uns selbst. Darüber dürfen andere entscheiden. TAREK: „Die Leute sagen, dass wir bescheidene, selbstlose Dudes sind.“ MAXIM: „Bescheidene Katzen sind wir, sagen die Leute. Wir müssen uns so sehr mit dem Leid der Welt beschäftigen, dass wir auch nicht so sehr ein Auge auf uns haben.“
So bescheiden, wie sie sich geben, beginnt auch das neue Album. ‚Wir’ ist der Einstiegstrack und schwört den Hörer schon einmal auf das ein, was ihren Rapstyle und das Werk ausmacht: ironisch-übertriebene Selbstdarstellung alla Hip Hop (ich bin kein Großkotz / ich bin bloß Gott) und bisweilen zynisch-böse Gesellschaftskritik, die sich gebündelter als je zuvor auf einer K.I.Z-Platte wiederfindet.
Schon der zweite Song ‚Geld’ besticht durch seine Kapitalismuskritik. Der Namensgeber wird dabei von mehreren Seiten beleuchtet. So ist Geld nicht nur keine Schwielen an den Händen zu haben, sondern eben auch Vor `nem prall gefüllten Schaufenster an Hunger [zu] krepieren / wegen bedrucktem Papier. Die Vergleiche werden dabei mit Euphorie kontrastiert, was das Lied zu einer Antihymne auf unser Bezahlmittel hebt.
Kurz darauf folgt mit ‚Glücklich und satt’ eine Milieustudie eines sogenannten Problemkiezes, um anschließend der bisher präsentierten gesellschaftlichen Schieflage mit ‚Boom Boom Boom’ eine Lösung vorzuschlagen. Die erste Singleauskopplung sprühte nicht nur in Szenemagazinen Funken. K.I.Z waren schon seit ihrem großen Erfolgsalbum ‚Hahnenkampf’ Gast im deutschen Feuilleton. Dennoch zeigten die Reaktionen, dass man mit Hip Hop fern ab von Sexismusklischees doch noch provozieren kann. Auf Kapitalismus, Nationalstolz und Rassismus lautet die K.I.Z-Lösung: Ich bring Euch alle um! ‚Die Welt‘ war das ein kritischer Artikel wert, in dem die Frage aufgetan wurde, wann ein Künstler noch bloße Gesellschaftskritik übt und wann man schon von Anstiftung zum Terrorismus reden kann. So oder so ließ der Single-Track sicherlich viele Größen aus der Medienbranche und der Politik aufhorchen und die Debatte um eine Indizierung laut werden. MAXIM: „Es geht weniger darum, ob man die Aussage geil findet oder den Song, sondern dass man den richtigen Leuten damit ans Bein pisst.“ Provokation über alles.
Doch besteht keine Furcht vor der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und einer Indizierung? MAXIM: „Ja Natürlich. Bloß muss man dafür gewappnet sein und sich vorbereiten. Das ist eine große Zeitverschwendung, weil man in das ferne, randständige Bonn fahren und dort mit den Leuten reden muss. Man lernt nebenbei immer ein paar nette Leute aus der Videospielbranche kennen. Das sind aber eigentlich die Angenehmsten, die man da trifft.“
Viele Hörer konnten K.I.Z schon überzeugen – auch fern der Hip Hop-Kultur. So gestaltet es sich auch schwierig, überhaupt die typische Klientel der Gruppe zu beschreiben. MAXIM: „Unser Fan lässt sich ja ganz im Gegenteil zu uns nicht in eine Schublade schieben. Wir haben die außerordentliche Fähigkeit, für sozialen Frieden zu sorgen und Menschen unterschiedlicher Ethnien, Glaubensrichtungen sowie sozialer Klassen zusammenzuführen, was man auf Konzerten sehr gut beobachten kann.“
Besteht nicht dennoch die Angst davor, missverstanden zu werden? MAXIM: „Ich glaube, es ist klar, dass wir als überlegene Geister die Mehrheit der Leute, die mehr Schwachköpfe sind, natürlich immer in gewisser Weise überfordern und die dann natürlich immer nur einen kleinen Teil dieses großen Bildes, was wir hier liefern, verstehen und sehen können. Aber sie verstehen nicht falsch, sie haben dann vielleicht einfach nicht alles begriffen. Aber ich glaube, an die Menschen. Ich glaube an die Menschheit. Ich glaube daran, dass es in Zukunft besser wird und das merkt man auch daran, dass es immer mehr K.I.Z-Fans gibt.“
Ihre Fans, die unterschiedlicher nicht sein könnten, speisen sie auch aus ihren zahlreichen Features mit anderen Künstlern. Nicht nur gängige Hip Hop-Größen wie Sido und Kollegah haben in der Vergangenheit Glanzstücke mit K.I.Z abgeliefert. Auch die Technokombo Scooter oder die Metalcore-Jungs von Callejon haben schon so manchen Sound mit ihren Kollegen aus dem Hip Hop verfeinert. Natürlich fragten wir auch im Interview nach zukünftig geplanten Kooperationen mit anderen Musikern. Aber Maxim wiegelt nur ab: „Wir lassen alles in Ruhe auf uns zukommen. Und bis es passiert, ist es nicht passiert. Es ist, was es ist. Ich mag es voll ungern, über so etwas zu reden, weil es dann nicht passiert und dann macht man sich voll zum Affen und alle lachen im Internet über dich. Und das ertrag ich nicht.“ Dennoch kann man mit Sicherheit ein neues Feature von K.I.Z und Casper prophezeien. Auf nichts anderes deuten Facebookposts der Musiker hin. Außer vielleicht auf einen ausgedehnten Urlaub in den U.S.A. Wir können uns überraschen lassen.
Mit weiteren kritischen Aussagen, stets im gewohnt zynisch-bösen K.I.Z-Gewand gekleidet, mit einem Schuss Asozialenromantik, lassen Stücke wie ‚Arianne’ und ‚Ehrenlos’ die herkömmliche kathartische Wochenend- und Feierabendmentalität anprangern. Mallorca-Partykultur wird ebenso mit dem vorletzten Track schief beäugt. ‚Was würde Manny Marc tun’ zaubert einen Kontrast durch den Gehörgang in das Hirn, welcher einem den Atem stocken lässt. Strophen, die einige der schwierigsten Lebenssituationen, wie der Pflege eines alkoholkranken Elternteils, Kindesmissbrauch oder Flüchtlingsschicksale thematisieren, werden mit einer catchy hook in Dissonanz gebracht und hinterlassen ein schreckliches Bauchgefühl.
Auch persönliche Songs fehlen auf dieser Platte nicht. Neben einem Lied zu den holprigen Anfängen der Gruppe, öffnet Tarek seine gefühlvolle Seite mit einem Track über eine verflossene Liebe. Der letzte Track verleiht dem Album seinen Namen und wurde als zweite Single ausgekoppelt. In ‚Hurra die Welt geht unter’ bekommen wir eine Utopie aufgetischt, die beantwortet, wie die Welt nach ihrem Untergang aussehen soll. Das Video erinnert dabei stark an Filme wie ‚Waterworld’ oder die Videospielreihe ‚Fallout’: Das Wasser der Weltmeere umspült Plattenbauten. K.I.Z bereisen die Umgebung mit einem zusammengezimmerten Floß. In einem Bunker fristen Überlebende in blauen Overalls ihr postapokalyptisches Dasein. In keiner Weise kommt jedoch traurige Stimmung auf, denn im Gegensatz zu den zitierten Filmen und Videospielen sollte ein hoffnungsvoller Ausblick auf das Ende der Welt geworfen werden, erklären Maxim und Nico. Sil-Yan erzählt, dass die Floß-Architekten mit einem Vault-Boy-Wackelkopf noch ein nettes Zitat setzen wollten, aber das von der eigentlichen Message abgelenkt hätte: die aktuellen gesellschaftlichen Probleme gibt es in der Postapokalyptischen Gesellschaftsform von K.I.Z nicht!
Nicos Statement zu den Erfolgsaussichten des Albums, zeugt noch einmal von großem Selbstbewusstsein: „Ich bin mir sicher, dass es das erfolgreichste Album aller Zeiten wird.“ SIL-YAN: „Das zeigt sich auch schon an der Reaktion zur zweiten Single ‚Hurra die Welt geht unter’. Die Leute sind alle eigentlich durchweg positiv überrascht von diesem Song, von dem Tiefgang und der Feinfühligkeit, vom Inhalt und das ist schön.“
Und sie sollten Recht behalten. Das Album der Berliner schmückte wochenlang den ersten Platz der Album-Charts und nun konnte die Platte sogar Gold für sich beanspruchen. Ihre Limited Special Edition Box wird daran nicht ganz unschuldig gewesen sein. Ausgestattet mit zahlreichem Zusatz-Material und Gimmicks, verpackt als Treibmittel in einer Bombenattrappe, erinnert Maxim die Box an eine Action-Figuren-Verpackung, die Objekt der Begierde schon seit seiner Kindheit war. Ob man aus der Box auch eine echte Bombe bauen kann, um den Untergang der Welt zu befördern? MAXIM: „Dazu benötigt es nur wenige Handgriffe, die wir in einer verschlüsselten Botschaft gepackt haben. ‚Das Kannibalenlied’ muss man rückwärts abspielen, dann ist das eine Anleitung für eine funktionierende Bombe.“
Aus dem Album wurde eine runde Sache, mit intensivierten Facetten aus dem gekonnten Hip Hop-Repertoire der Gruppe. Auch der geübte K.I.Z-Fan wird überrascht sein, was dort zu hören ist. Wer sich überzeugen ließ oder noch unsicher ist, kann die vier Klosterschüler Im Zölibat ab November auf Tour erleben. Eintritt in das Paradies der Republik K.I.Z wird nur mit einem Konzertticket in Form eines Reisepasses gewährt. Begrüßt wird man von der Bühne aus schließlich von paramilitärischen Guerilleros, Fahnen schwingend und AK 47 haltend, gesäumt von überdimensionierten Statuen der anbetungswürdigen Vier. Neue Anhängerschaft ist mit ihrem Werk und Auftreten garantiert. Ob überhaupt noch eingefahrene Hater existieren? MAXIM: „Ich denke, dass es nicht mehr so viele geben wird. Jede Mehrheit braucht auch eine Minderheit, auf der sie rumtrampeln kann. Unser Reich komme, unser Wille geschehe.“
Marc Zehmke
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