Das im Jahr 2000 erschienene Planescape: Torment zählt auch heute noch zu den beliebtesten Rollenspielen aller Zeiten. Das andersartige Konzept des Rollenspiels, das statt nur auf Kämpfe zu setzen, mehr Wert auf komplexe moralische Entscheidungen und Storytelling legte, begeistert bis heute. Nun, 17 Jahre später, erschien mit Torment: Tides of Numenara ein geistiger Nachfolger zum Rollenspielschwergewicht. Ob das Kickstarterprojekt das schwere Erbe erfolgreich antritt, erfahrt ihr im Folgenden.
Numa Numa? Nein, Numenara!
Torment: Tides of Numenara basiert nicht wie sein geistiger Vorgänger auf einer Dungeons & Dragons-Spielwelt, sondern auf einem komplett anderen Rollenspielsystem. Das 2012 veröffentlichte Numenara spielt in einer Welt, die den Namen „die neunte Welt“ trägt. Dabei handelt es sich um die Erde, etwa eine Milliarde Jahre in der Zukunft. Diese Welt lässt sich am einfachsten als mittelalterlich mit starkem futuristischen Einschlag bezeichnen.
Der Begriff „Numenara“ bezeichnet hier jegliche Überbleibsel aus den vorangegangenen acht Welten. Diese reichen von tragbaren Gegenständen wie Waffen oder Kuriositäten wie Sonnenbrillen, bis hin zu komplexen Maschinen oder sogar Gebäuden.
Was bedeutet ein Leben?
Das ist quasi die Leitfrage von Torment: Tides of Numenara. Es spinnt damit die Leitfrage von Planescape: Torment „Was kann die Natur eines Menschen verändern?“ weiter.
Im Zentrum dieser Frage steht ein Wesen namens „wandelnder Gott“. Dieser war ein Sterblicher, der einen Weg gefunden hat, seinen Geist in andere Körper zu transferieren. Durch diese Art der Unsterblichkeit zog er jedoch den Groll einer Entität auf sich, die nur als „Kummer“ bekannt ist. Deren einziges Ziel ist es, den wandelnden Gott und seine Verstoßenen auszulöschen.
Was Verstoßene sind, fragt ihr euch nun? Ganz einfach. Ihr. Und alle anderen abgelegten Körper des wandelnden Gottes. Wenn dieser einen Körper verlässt, wird in jenem ein neuer Geist geboren und er wird zum Verstoßenen. Die Verstoßenen waren im Laufe der Jahrhunderte Helden, Mörder, Diebe und unzählige andere Dinge.
Ihr schlüpft in die Rolle des letzten Verstoßenen, im Moment der Geburt seines Geistes. Wer ihr seid, und warum ihr seid, ist an euch herauszufinden. Eine frühe Begegnung mit dem Kummer weckt in euch jedoch den Drang, mehr Informationen über euren Schöpfer oder vielleicht sogar ihn selbst zu finden. Außerdem ist es natürlich auch in eurem Interesse, euren Schöpfer vor dem Kummer aufzuspüren, da sein Ableben auch eures bedeuten würde.
Auf eurer Reise seid ihr dabei natürlich nicht alleine unterwegs. Wie es sich für ein ordentliches Rollenspiel gehört, gibt es eine Reihe skurriler Gestalten, die nur darauf warten, sich euch anzuschließen. Eine Frau, die gleichzeitig in mehreren Dimensionen existiert, und ein Sklavenmädchen, das einen Gott in Form eines Kiesels mit sich herumträgt, bilden dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Verkopft und zugenäht
Wem bei den Beschreibungen von körperwechselnden Göttern und der Suche nach dem Sinn des Lebens schon der Kopf raucht, der sollte sich besser warm anziehen. Torment: Tides of Numenara wartet noch mit viel mehr verkopften Konzepten auf.
So werdet ihr euch im Verlauf des Spiels immer wieder an einem Ort namens Labyrinth wiederfinden. Dabei handelt es sich um ein Konstrukt im Innern eures Geistes. Dort unterhaltet ihr euch beispielsweise nicht nur mit einem hilfreichen Geist, sondern werdet auch dorthin verfrachtet, solltet ihr einmal das Zeitliche segnen. Auch habt ihr im Verlauf mancher Quests die Möglichkeit, Dinge in eurem Geist zu versiegeln, oder Reflektionen anderer Verstoßener in eurem Verstand aufzunehmen. Dadurch öffnet ihr teils neue Wege oder auch Dialogoptionen im Labyrinth.
Doch nicht nur in eurem eigenen Kopf treibt ihr euch in Torment: Tides of Numenara herum. Vielerorts habt ihr die Möglichkeit, Erinnerungen anderer Inkarnationen eures Schöpfers zu erleben und durch zu treffende Entscheidungen zu beeinflussen. Durch richtige Entscheidungen in diesen Erinnerungen könnt ihr beispielsweise Wissen vergangener Verstoßener erlangen und so zum Beispiel Sprachen anderer Wesen lernen.
Unsichtbare Widersacher, mutierte Maulwürfe…
Neben der Suche nach eurem Schöpfer gibt es standesgemäß natürlich auch einiges weiteres zu tun. Die zahlreichen, interessanten Nebenquests in Torment: Tides of Numenara sind alles Andere als das klischeehafte „Töte 5 Ratten im Keller.“
So gilt es beispielsweise, den Besuchern einer Taverne dabei zu helfen, einen unsichtbaren Widersacher zu identifizieren und zu bekämpfen. Andernorts wird die Stadt davon bedroht, von einer Art mutierter Maulwurfsmenschen, den Sticha, auf der Suche nach Nahrung untergraben zu werden. Doch ist das Überleben der Stadt es wert, eine ganze Rasse potentiell verhungern zu lassen?
Diese und zahlreiche andere Nebenaufgaben werden euch lange Zeit beschäftigen und sorgten zum Beispiel bei mir dafür, dass ich erst nach knapp 8 Stunden Spielzeit das erste Gebiet verlassen habe. Die meisten der Nebenquests und anderen Situationen in Torment: Tides of Numenara lassen sich dabei komplett ohne Kampf lösen, was dazu führte, dass ich in meinen ersten 10 Spielstunden gerade einmal drei Kämpfe durchstehen musste. Einer davon war ein Kampf im Tutorial.
Klassische Optik und erfrischend anderes Spielsystem
Die isometrische Optik von Torment: Tides of Numenara wird alten Hasen, die durch die Rollenspielschule von Baldur’s Gate, Icewind Dale und Konsorten gegangen sind, sofort bekannt vorkommen. Doch auch Neulinge werden sicher schnell in das eventuell im ersten Moment altmodisch wirkende System hereinkommen.
Das Skillsystem von Torment: Tides of Numenara basiert auf sogenannten Skillpools. Das bedeutet, dass ihr einen festgelegten Wert an Punkten in den Kategorien Kraft, Geschwindigkeit und Intellekt habt. Steht ihr nun vor einer Herausforderung, die den Einsatz einer Fähigkeit erfordert, müsst ihr diese Punkte einsetzen. Dabei könnt ihr wählen, wie viele Punkte ihr nutzen wollt um eure Erfolgschancen zu verbessern. Ausgegebene Punkte werden beim Schlafen regeneriert und die Anzahl der verfügbaren Punkte lässt sich durch Stufenaufstiege erhöhen.
Das klassische Gesinnungssystem nennt sich hier Gezeiten. Für getroffene Entscheidungen erhaltet ihr Punkte in den verschiedenfarbigen Gezeiten, wodurch sich deren Dominanz in euch ändert. Gold steht hier beispielsweise für Barmherzigkeit und Aufopferung, Rot für emotionales Handeln und Blau für Weisheit.
Wandelnder Gott, changing god und deutsche Sprache, schwere Sprache
Torment: Tides of Numenara bietet euch die Möglichkeit, es in verschiedenen Sprachen zu erleben. Wobei die Sprachausgabe an den seltenen Momenten, in denen welche vorhanden ist, jedoch immer englisch ist.
Ein kleiner Wermutstropfen ist für mich dabei leider die Tatsache, dass manche Übersetzungen, wie die des changing god als wandelnder Gott wenig bis keinen Sinn ergeben. „Wandeln“ ist nun einmal leider nicht das gleiche wie „sich wandeln“. Außerdem gibt es in den deutschen Texten leider an vielen Stellen Rechtschreibfehler, Wortdopplungen oder Syntaxfehler.
Da der Großteil der Spielzeit in Torment: Tides of Numenara mit dem Lesen der vielfältigen Bildschirmtexte zugebracht wird, ist das meiner Meinung nach kein Kavaliersdelikt und stört stellenweise schon arg den Fluss der sonst so gut geschriebenen Dialoge.
Fazit – Torment: Tides of Numenara
Wer ein gutes Rollenspiel zu schätzen weiß und sich auch vor philosophischen und existenziellen Fragen nicht scheut, für den ist Torment: Tides of Numenara genau das Richtige. Die tiefe Story und die teils schwer moralischen Quests regen zum Nachdenken an und sorgen dafür, dass Torment: Tides of Numenara sicher lange im Gedächtnis bleiben wird.
Das exzellente Planescape: Torment hat hier einen mehr als würdigen Nachfolger gefunden.
Infobox:
- Titel: Torment: Tides of Numenara
- Publisher/Entwickler: Koch Media/Techland/InXile Entertainment
- Release: 28.02.2017
- Plattform: PC, macOS, Linux, PS4, XBOX ONE
- USK: 12
- Genre: Rollenspiel
- Textsprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, Polnisch
- Sprachausgabe: Englisch
Bildquelle(n): Koch Media/Techland/InXile Entertainment