Sinneseindrücke und Erlebnisse, die unter die Haut gehen, stehen bei den Kinostarts dieser Woche hoch im Kurs. Zuallererst ist da Christopher Nolans Kriegsaction „Dunkirk“ zu nennen, die den Reflex auslöst, sich im Kinosaal vor den Bombenangriffen auf der Leinwand wegzuducken.
Intensiv verspricht auch der Actionfilm „Baby Driver“ zu werden. Und in der britischen Gesellschaftssatire „The Party“ vergessen die Streithähne auf einer privaten Feier schnell ihr gutes Benehmen. Einen sehr sinnlichen, unmittelbaren Eindruck eines Trauerprozesses vermittelt das ruhige Drama „Another Forever – Die Stille um Alice“. In dem russischen Drama „Paradies“ geht es um eine Frau, die im Zweiten Weltkrieg ins KZ gesperrt wird und dort einem Jugendfreund begegnet, der jetzt zur SS gehört.
Unter den weiteren Filmen befinden sich auch drei Angebote für das jüngere Publikum. Der Teenie-Horrorthriller „Wish Upon“ fällt nicht ganz so intensiv aus, wie es das Genre eigentlich verlangt. Mit „Ostwind – Aufbruch nach Ora“ geht die Verfilmung der „Ostwind“-Buchreihe über eine Pferdenärrin in die dritte Runde. In dem komödiantischen Kinderfilm „Max – Agent auf vier Pfoten“ freundet sich der einsame Sohn eines US-Präsidenten mit einem Schäferhund an, der ihn beschützt und ihm hilft, ein politisches Komplott aufzudecken.
Dunkirk
Regie: Christopher Nolan, Verleih: Warner Bros.
Im Mai 1940 sind in der französischen Küstenstadt Dünkirchen 400.000 britische und französische Soldaten zwischen der anrückenden deutschen Armee und dem Meer eingekesselt. Britische Kriegsschiffe nähern sich, um zu evakuieren. Aber für viele der am Strand Wartenden gibt es wenig Aussicht auf eine schnelle Rettung. Ein junger Soldat (Fionn Whitehead) versucht verzweifelt, in die Nähe eines Schiffs zu kommen. Ein Yachtbesitzer (Mark Rylance) macht sich mit zwei jungen Begleitern auf den Weg aus England über den Ärmelkanal, um einige Soldaten zu retten. Britische Kampfpiloten (Tom Hardy u.a.) versuchen deutsche Bomber abzuschießen, bevor diese wieder ein Schiff versenken.
Das Actiongenre entdeckt historische Kriegsschauplätze für sich. So tummelte sich kürzlich Wonder Woman auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Nun versetzt sich Regisseur Christopher Nolan ganz ohne Superhelden, aber mit voller inszenatorischer Wucht in die Katastrophenstimmung, die Ende Mai 1940 am Strand von Dünkirchen herrschte. Die Bombenangriffe der Deutschen erfolgen so gnadenlos, dass das Kinopublikum meinen könnte, selbst zu den Eingekesselten zu gehören und ihre Todesangst zu spüren. Aus dem Cockpit des britischen Kampfflugzeugs sieht man den Horizont über dem Meer kippen, eine Wolkenbank herannahen, die wahrscheinlich den Feind verbirgt. Eigentlich ist dies ein schreckliches Filmerlebnis, eine Zerreißprobe für die Nerven, und gerade deshalb spektakulär.
Paradies
Regie: Andrei Konchalovsky, Verleih: Alpenrepublik
Die russische Emigrantin Olga (Julia Vysotskaya) lebt während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich und versteckt zwei jüdische Kinder in ihrer Wohnung. Nachdem sie inhaftiert wird, will sie mit dem Polizisten Jules (Philippe Duquesne) einen Handel eingehen, bei dem sie Sex anbietet. Doch Jules wird von der Résistance erschossen und Olga landet im Konzentrationslager, wo sie dem SS-Offizier Helmut (Christian Clauß) begegnet. Die beiden kennen sich von früher, er war einmal schwer in sie verliebt.
Es ist keine neue Geschichte, die der russische Altmeister Konchalovsky hier erzählt. Aber wie er das tut, ist dann doch überraschend und aufwühlend. Die Protagonisten legen in zwischen die Handlung geschnittene Verhörsituationen nachträglich Rechenschaft ab. Was wird aus einer Freundschaft, aus Werten wie Menschlichkeit und Solidarität, wenn sich die Machtverhältnisse grundlegend ändern? Das eindringliche Spiel von Julia Vysotskaya berührt und die Art, wie sich Helmut als Mitglied einer Herrenrasse begreift, lässt frösteln.
The Party
Regie: Sally Potter, Verleih: Weltkino
Janet (Kristin Scott-Thomas) erwartet ein paar enge Freunde in ihrem Londoner Haus. Sie will mit ihnen ihre Ernennung zur Gesundheitsministerin des Schattenkabinetts feiern. Doch kaum sind die Freunde eingetroffen, verkündet ihr Ehemann Bill (Timothy Spall), dass er eine neue Liebe gefunden hat. Daraufhin verliert Janet die Fassung. Auch zwei andere Pärchen wetzen die Klingen und der zugekokste Banker Tom (Cillian Murphy) versucht, eine mitgebrachte Schusswaffe loszuwerden.
Nur 71 Minuten dauert dieses bissige satirische Ensemblestück. Darin lassen eigentlich kultivierte, lebenserfahrene Leute gutes Benehmen und Toleranz schnell hinter sich. Wie „Paradies“ ist auch dieses bitterböse Stück in Schwarzweiß gedreht. Seine Charaktere entpuppen sich als viel kleingeistiger, als ihnen selbst bewusst ist. Besonders beeindruckend sind Patricia Clarkson als zynische Quasselstrippe April und Bruno Ganz als ihr esoterisch orientierter Gatte Gottfried.
Bianka Piringer
Copyright der Bilder: Warner Bros., Alpenrepublik, Weltkino