Die Pharmaindustrie bringt immer wieder neue Medikamente auf den Markt, die den Patienten nicht mehr nützen als die bisherigen. Die Filmindustrie folgt einem ähnlichen Prinzip mit ihren vielen Neuproduktionen, die sich ohne inhaltlichen Mehrwert an früheren Hits orientieren. Einige davon tummeln sich auch unter den Kinostarts dieser Woche. „Affenkönig“ fügt der sowieso schon üppig bestückten Kategorie der Männerkomödien, die die Welt nicht braucht ein weiteres Exemplar hinzu. Dani Levys „Die Welt der Wunderlichs“ hinterlässt vor allem einen hyperaktiven Eindruck und weckt ansonsten Erinnerungen an die viel lustigere Komödie „Little Miss Sunshine“. Das französische Regie-Duo Benoît Delépine und Gustave Kervern konnte Gesellschaftskritik auch schon mit bissigerem Humor servieren als in „Saint Amour – Drei gute Jahrgänge“. Die surreale Komödie „Swiss Army Man“ ist hingegen ein Debütfilm und noch dazu einer, der vor witzigen Ideen nur so sprüht. Sehenswert ist auch der neue Film von Andrea Arnold, „American Honey“.
Swiss Army Man
Regie: Dan Kwan, Daniel Scheinert, Verleih: Capelight Pictures
Hank (Paul Dano) ist auf einer einsamen Insel gestrandet und will sich das Leben nehmen. Da sieht er am Strand einen Mann (Daniel Radcliffe) liegen und stürzt aufgeregt auf ihn zu. Doch Manny ist tot und furzt noch dazu fürchterlich. Hank aber entdeckt, dass der Tote ihm dabei helfen kann, in die Zivilisation zurückzukehren. Dann formuliert Manny seine ersten Worte – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Etwas Vergleichbares hat die Kinowelt noch nicht gesehen. Das fulminante Langfilmdebüt der amerikanischen Musikvideoregisseure Daniels (Dan Kwan und Daniel Scheinert) tanzt leichtfüßig zwischen allen Stühlen, respektive Zuschauererwartungen. Es verknüpft Makabres und Abstoßendes mit emotionaler Wärme und Wahrhaftigkeit. Die ungleichen Freunde vertiefen sich in geradezu philosophische Gespräche über die Freuden des Lebens. Und es kümmert sie erstaunlich wenig, ob sie sich auf dem Boden der Realität, oder in der Welt der Hirngespinste bewegen. Ein berührendes Filmvergnügen mit Seltenheitswert.
American Honey
Regie: Andrea Arnold, Verleih: Universal Pictures
Star (Sasha Lane) will aus ihrem unglücklichen Kleinstadtleben ausbrechen. Sie lernt Jake (Shia LaBeouf) kennen, der sie spontan auffordert, sich seiner Gruppe junger Zeitschriftenverkäufer anzuschließen. Star wird Mitglied der Drückerkolonne, die in einem Kleinbus durch die Lande fährt und in den Vor- und Kleinstädten Abonnenten an der Haustür wirbt. Jake und Star verlieben sich, was Krystal (Riley Keough), die Chefin, gar nicht gerne sieht. Star genießt den Zusammenhalt der Gruppe und die wilden nächtlichen Feiern. Sie träumt davon, sich mit Jake irgendwann niederzulassen, aber werden sie den Absprung aus der fahrenden Gemeinschaft schaffen?
Die britische Regisseurin Andrea Arnold („Fish Tank“) bekam für dieses in Amerika spielende Roadmovie auf dem Filmfestival von Cannes 2016 den Preis der Jury. Sie taucht tief – und lange, denn der Film dauert zwei Stunden und 42 Minuten – in den Alltag der Drückerkolonne ein, wie ihn der Neuzugang Star erlebt. Die vielen Songs und die unruhige Kamera, die Nahaufnahmen und enge, impressionistische Bildausschnitte bevorzugt, spiegeln Stars intensive Eindrücke. Aber ihre Gefühle bleiben weitgehend verborgen. Die Geduld der Zuschauer wird jedoch belohnt, denn die eindringliche Atmosphäre entfaltet ihre Wirkung wie ein Mantra erst durch Wiederholung.
Welcome to Norway
Regie: Rune Denstad Langlo, Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Der Familienvater Primus (Anders Baasmo Christiansen) musste ja unbedingt im Norden Norwegens ein Hotel bauen. Nun steht es halbfertig da und das Geld fehlt. Aber Primus weiß auch schon, wie er in den Genuss öffentlicher Mittel kommt: Er deklariert das Gebäude als Flüchtlingsunterkunft! Als die ersten 50 Bewohner ankommen, fehlen zum Teil die Türen und mit der Elektrik gibt es Probleme. Und dann haben die Neuankömmlinge auch noch Ansprüche und beschweren sich lauthals über fehlende Fernsehgeräte. Wird Primus die behördlichen Auflagen erfüllen können oder mit seiner Geschäftsidee baden gehen?
Die bereits 2015 vor der großen Flüchtlingskrise gedrehte norwegische Komödie überrascht mit ihrem satirischen Biss. Die Asylbewerber sind mit ihren Wünschen nicht gerade pflegeleicht, die Einheimischen halten so gut wie nichts von Willkommenskultur. Und die Behörden veranstalten mit den Flüchtlingen regelrechte Tourneen von einem Heim zum nächsten. Der chaotisch herumlavierende Primus erweitert seinen Horizont auf die mühsame Art. Das Ergebnis ist eine anfangs vielversprechende, später etwas durchwachsene Komödie mit holpriger Dramaturgie.
Bianka Piringer
Fotoquelle(n): Capelight Pictures, Universal Pictures, Neue Visionen