Lieber AGM-Leser, wir müssen reden: Bist du glücklich? Springst du jeden Tag mit einem breiten Lächeln aus dem Bett oder verschleiert ein grauer Nebel permanent dein Gemüt? Vermutlich würde kaum ein Mensch behaupten, immer glücklich zu sein. Ja, manch einer mag sogar sagen, dass die glücklichen Momente des Lebens erst durch traurige Phasen wahrlich zur Geltung kommen. Ein Gedankengang, der dir in Psycho-Pass: Mandatory Happiness das Leben kosten könnte.
Psycho-Pass: Was ist das eigentlich?
Im Japan des 22. Jahrhunderts wird das Leben eines jeden Bürgers vom sogenannten Sibyl-System bestimmt. Ein neuronales Netzwerk, das die Antwort auf jede Frage kennt: Welche Schule die beste für dich ist, für welche Berufe du geeignet bist – und ob deine Existenz eine Bereicherung für die Gesellschaft darstellt.
Jedem Bürger wird vom Sibyl-System ein sogenannter Psycho-Pass ausgestellt: ein Ausweis, der das mentale Befinden beurteilt. Solange du eine klare, helle Farbe besitzt und dein Kriminalkoeffizient unterhalb der 100-Marke liegt, ist alles in Ordnung. Sollte dieser Wert jedoch überschritten sein, wirst du zu einem Menschen zweiter Klasse degradiert: einem latenten Kriminellen. Ein Leben in Gefangenschaft ist jedoch eine schöne Alternative zu dem, was passiert, wenn dein Pyscho-Pass gar eine Zahl jenseits 200 aufweist. Denn dann erachtet dich das Sibyl-System nicht mehr als eine Bereicherung für die Gesellschaft – die sofortige Hinrichtung ist das Resultat.
Das Gesetz wird durch das MWPSB (Ministry of Welfare’s Public Safety Bureau) vollstreckt. Eine Abteilung dieses Amtes ist das Criminal Investigation Department, welches dort Kriminalität bekämpft, wo Polizei-Dronen nicht weiterkommen. Innerhalb einer solchen CID-Abteilung spielt Psycho-Pass: Mandatory Happiness.
Eine Erweiterung des Anime-Universums
Mit der Visual Novel Pyscho-Pass: Mandatory Happiness wird die Geschichte des beliebten Animes um ein neues Kapitel erweitert. Die Feder hat dabei niemand Geringeres als Serienschöpfer Urobuchi Gen geschwungen. Die Story von Mandatory Happiness spielt parallel zur ersten Hälfte der ersten Staffel der Anime-Serie. Während von Kagari bis Tsunemori alle beliebten Charaktere der Serie auch in der Visual Novel auftreten, wird das Universum um zwei neue Charaktere ergänzt: Kugatachi und Tsurugi
Am Anfang des Spiels muss sich der Spieler entscheiden, aus wessen Sicht er die Story verfolgen möchte. Nadeshiko Kugatachi ist eine hochbegabte Inspektorin, die jedoch ihr Gedächtnis verlor und kein Verständnis für menschliche Emotionen aufweist. Takumi Tsuruigi stößt hingegen als Enforcer dem MWPSB hinzu: Das heißt, er ist ein latenter Krimineller, der im öffentlichen Dienst unter Führung der Inspektoren auf Verbrecherjagd geht – und dabei das ein oder andere Mal die Gelegenheit erhält, die Außenwelt zu sehen.
Egal, für welche Seite man sich entschließt: Die Fälle, die unsere Gruppe lösen muss, bleiben dieselben. Wie man auf die Geschehnisse blickt und welche Schlüsse daraus gezogen werden, verändern sich jedoch. Je nachdem, welche Entscheidungen man im Spiel trifft, gibt es zudem insgesamt 16 verschiedene Enden, die man erblicken kann.
Um die Entscheidungen und deren Konsequenz zu beleuchten, die Mandatory Happiness uns gibt, werden wir nachfolgend näher auf den ersten Fall des Spiels eingehen. Daher gilt bis zur darauffolgenden Überschrift: Spoilerwarnung!
Der erste Fall
Beste Freundschaft hält ewig – bis sie dann doch irgendwann zerbricht. Shiori und Haruto trafen sich jahrelang täglich zum Lernen in einer Bibliothek, sie waren enge Freunde, vielleicht sogar mehr als das. Als Sibyl entschied, auf welche weiterführende Schulen die beiden gehen sollten, wurde das Band zerrissen. Shiori wurde einer Elite-Schule in Tokio zugewiesen, während Haruto trotz aller Anstrengungen verurteilt wurde, in der Heimat zu versauern.
Für Haurto zerbrach das Leben somit in tausend Scherben. Seine Zukunftsaussichten sind bescheiden, seine einzige Freundin weit, weit entfernt. Als die beiden nach vielen Monaten die Chance erhalten, sich in Tokio zu treffen, will Haruto Shiori nicht mehr gehen lassen. Er will seine Vergangenheit zurück. Er will Shiori für sich. Für immer. Ein Emotionswirrwarr entwickelt sich zu seiner Entführung, in deren Verlauf Haruto immer extremer wird. Am Ende stellt er eine Gefahr dar – für sich selbst und für Shiori.
Als Teil des CID gehen wir den Fall nach, versuchen die beiden aufzuspüren und Shiori aus den Fängen Harutos zu befreien. Wir gehen verschiedenen Spuren nach und überlegen uns, welcher Schritt der richtige ist: Sollten wir sein Zimmer durchsuchen? Oder mit seinen Freunden sprechen? Vielleicht verschwenden wir wertvolle Zeit, vielleicht erfahren wir die Motive hinter seinen Taten.
Je nach dem, was für Entscheidungen wir im Laufe der Ermittlung getroffen haben, steht dem tragischen Fall ein anderes Schicksal entgegen. Haruto ist hoffnungslos der Kriminalität verfallen, sein Koeffizient jenseits von Gut und Böse: Unsere Waffe, Dominator genannt, verschreibt ihm den Tod. Doch auch Shioris Zukunft ist nicht in Steim gemeißelt. Eine Situation, in der sie unschuldig geraten ist, kann so viel Stress auf sie ausüben, dass auch sie als latente Kriminelle gebrandmarkt wird. Läuft es ganz schlecht, kann ihr Seelenleben gar soweit in Mitleidenschaft gezogen werden, dass Sibyl auch für sie nur noch ein Schicksal hervorsieht: den Tod.
Bitte, was? Ein unschuldiges Schulmädchen, das gegen ihren Willen entführt und bedroht wurde, droht als Konsequenz der Tod?
Ja. Und das ist richtig so. Denn das Sibyl-System ist fehlerfrei.
Perfekt.
Nicht infrage zu stellen.
Oder?
Spannende Story, die mit Tabus bricht
Eines sollte nun klar sein: Ja, auch Psycho-Pass: Mandatory Happiness ist bereit, Tabus zu brechen. Als Spieler sehen wir immer wieder mit einem Knoten im Magen zu, wie unser Charakter den Abzug drückt, um vermeintlich faire Strafen zu verhängen, die jeglicher Moralvorstellung widersprechen. Alles zum Wohle der Gesellschaft, versteht sich.
Für die Gesellschaft zu handeln, kann die Seele allerdings ganz schön belasten. Damit unser Psycho-Pass stets in einer klaren Farbe erstrahlt, können wir uns daher immer wieder dazu entscheiden, Medizin zu nehmen oder an Therapie-Sitzungen teilzunehmen. Zusammen mit den Entscheidungen, die wir treffen, bestimmt vor allem der Zustand des Psycho-Passes unsereres Protagonisten, wie die weitere Geschichte verläuft. Wer immer eine klare Farbe besitzt, hinterfragt das System nicht und kann dann, wenn es darauf ankommt, nicht die Gesetze biegen. Wer mit einem vernebelten Psycho-Pass durch die Welt läuft, nimmt sich mehr Freiheiten, muss aber aufpassen nicht selbst in die Kriminalität abzurutschen.
Der kindlich-naive Antagonist von Psycho-Pass: Mandatory Happiness versteht dies nicht. Er will Lösungen schaffen. Er will, dass jeder glücklich ist, niemand bestraft wird. Seine Motive sind ehrlich, seine Schlüsse verheerend: Ein toller Charakter, der die Geschichte zusammenhält.
Das Gleiche kann leider nicht von dem Maincast gesagt werden. Während es schön ist, die altbekannten Gesichter wieder zu sehen, bleiben die meisten Figuren in Mandatory Happiness weitestgehend blass und konturlos. Es ist ein Wiedersehen, das etwas schal wirkt.
Durch und durch eine Visual Novel
Psycho-Pass: Mandatory Happiness ist durch und durch eine Visual Novel. Das heißt: Das Spielgeschehen wird in Standbildern und ausufernden Texttafeln gezeigt. Wer darauf hoffte, dass wichtige Szenen kleine Anime-Sequenzen spendiert bekämen, sieht sich enttäuscht. Dafür wurden aber sämtliche Dialoge von den japanischen Originalsprechern des Anime eingesprochen. Wie man es von japanischen Nischenspielen gewohnt ist, besitzt zudem auch Psycho-Pass: Mandatory Happiness nur englische Texte. Wer sich in der englischen Sprache nicht sicher fühlt, sollte sich also genau überlegen, ob man Mandatory Happiness eine Chance geben möchte.
Fazit: Psycho-Pass: Mandatory Happiness
Psycho-Pass: Mandatory Happiness erweitert das Psycho-Pass-Universum mit seiner spannenden Story gelungen um neue Facetten, die zwar keine bahnbrechenden Enthüllungen liefern, aber der Reihe weitere Tiefe verleihen. Fans freuen sich zudem darüber, dass sich Mandatory Happiness thematisch an der ersten Staffel der Serie anlehnt, statt sich Inspiration bei der umstrittenen zweiten zu suchen. Auch Neueinsteiger werden von Psycho-Pass: Mandatory Happiness willkommen geheißen und können problemlos der Story folgen. Ein idealer Startpunkt ist die Visual Novel allerdings nicht. Einige wichtige Twists der Anime-Serie werden hier nämlich bereits vorweg genommen.
Julian Krause