29 Jahre ist es her, dass Ryu und Ken das erste Mal die Fäuste fliegen ließen. Blieb das erste „Street Fighter“ von 1987 noch nahezu unbeachtet, entwickelte sich die Serie mit Teil zwei zu einem Klassiker den selbst Menschen kennen, denen beim Thema Videospielen sonst nur Tetris und Pong einfallen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an Street Fighter V. Wird das Spiel seinem Erbe gerecht?
Viel Action, wenig zu tun
Wer Street Fighter V in diesen Tagen startet wird zunächst von einigen ausgegrauten Optionen begrüßt, denn leider ist es Capcom nicht gelungen bis zum Launch alle Features fertig zu stellen. Auf sich warten lassen unter anderem der Modus „Herausforderung“ und der Shop, in welchem ihr echtes oder im Spiel verdientes Geld gegen neue Kostüme und Charaktere eintauschen könnt. Beides soll im März erscheinen. Die Kämpferriege besteht aktuell aus 16 der bisher 22 angekündigten Charakteren, und auch der Story-Modus macht noch keine gute Figur: Je nach Charakter warten hier zwei bis vier Kämpfe auf euch, welche dessen Hintergrund kurz anreißen. Die Geschichte wird dabei in vertonten Standbildern erzählt, deren skizzenhafter Stil sich stetig zwischen „interessant“ und „hat der Designer zwischen Frühstück und Morgentoilette gemacht“ bewegt. Auch hier vertröstet Capcom: Ein „echter“ Storymodus soll im Juni kommen.
Für Einzelspieler bleibt noch der Survival-Modus. In diesem kämpft ihr euch je nach Schwierigkeitsgrad durch 10 bis 100 Kämpfe und versucht dabei die besten Scores zu erreichen. Nach jeder Runde könnt ihr euch entscheiden entweder eure hart verdienten Punkte für diverse Modifikationen wie härtere Schläge oder eine Wiederherstellung eurer Gesundheit auszugeben oder eure Gegner sogar noch zu stärken, um dafür im nächsten Kampf mit einem Scoremultiplikator entlohnt zu werden. Wer es schafft alle Kontrahenten auszuschalten, wird am Ende mit neuen Farben für seinen Charakter belohnt.
Hoffnungsträger Multiplayer
Kommen wir zum Filetstück eines jeden Fighting Games, dem Multiplayer Modus. Hier bietet Capcom den üblichen Genre-Standard: Wahlweise könnt ihr hier in Freundschaftsmatches gegen Unbekannte bestreiten, euch in der Kampflounge mit einer Gruppe befreundeter Spieler prügeln und natürlich auch Ranked-Matches austragen, welche euch Ruhm, Ehre und einen Platz in der weltweiten Rangliste sichern. Für all diese Optionen müsst ihr allerdings einiges an Zeit mitbringen, denn das Matchmaking war zum Zeitpunkt des Tests leider ziemlich behäbig. Teilweise benötigte das Spiel bis zu einer Minute, um einen passenden Gegner zu finden. Wenn ein Gegner gefunden wurde, blieben die Kämpfe aber stabil, störende Verbindungsabbrüche gab es nicht. Wer nach den anstrengenden Kämpfen eine Pause will oder sich Tricks bei den Profis abschauen möchte, kann zudem im „Capcom Fighting Network“ Community Feature nach Replays suchen.
Chance vertan
Street Fighter V zu bewerten fällt mir nicht leicht. Auf der einen Seite kann man auch im jetzigen Zustand viel Spaß mit dem Spiel haben. Wie bei vielen Fighting Games ist ein guter Multiplayermodus die halbe Miete, und auch wenn Street Fighter V hier das Rad nicht neu erfindet, bieten die vorhandenen Modi trotz lahmendem Matchmaking Potential für viele schöne Stunden. Auf der anderen Seite hatte ich immer wieder das Gefühl, man hätte dem zuständigen Team lieber noch ein paar Monate Zeit geben sollen, damit das Spiel zum Launch weniger nackt daher kommt.
Die Contentarmut von Street Fighter V ist eine Schande, denn das Spiel selbst ist einer der besten und eingängigsten Vertreter seines Genres. Die Combos sind von Anfängern leicht zu lernen und gehen mit etwas Übung gut von der Hand, sodass auch eher unerfahrene Spieler schnell erste Erfolge verbuchen können. Leider hat man die Chance verpasst durch solide Einzelspielermodi mit freischaltbaren Extras für die nötige Langzeitmotivation bei diesen Spielern zu sorgen. So bleibt Anfängern nach kurzer Spielzeit nichts anderes übrig als sich in Onlinekämpfen eine blutige Nase zu holen, was viele wohl eher demotivieren wird.
In seiner bisherigen Form kann man Street Fighter V daher hauptsächlich erfahrenen Spielern empfehlen, die wissen worauf sie sich einlassen und ohnehin hauptsächlich kompetitiv spielen wollen. Für diese bietet das Spiel ein wunderbares Grundgerüst, welches durch die kostenlosen Updates langsam erweitert wird. Wer sich in dieser Beschreibung nicht wiedererkennt, sollte eventuell die Content-Updates der nächsten Monate abwarten.
Benjamin Wilhelm
Bildquelle(n): Capcom Co., Ltd.