Vor exakt vier Jahren (4. Juni 2012!) erschien das Brettspiel Die Legenden von Andor beim Kosmos-Verlag und eroberte die Herzen der Spieler und Kritiker im Sturm. In dem kooperativen Abenteuer von Michael Menzel schlägt sich eine Gruppe von bis zu vier Helden durch das Land Andor, das von bösen Kreaturen überrannt wird. Neben einer durchdachten Spielmechanik, die gute Zusammenarbeit zwischen den Spielern dringend voraussetzt, weiß vor allem die packende Erzählung zu gefallen. Das Spiel besteht aus mehreren zusammenhängenden Abenteuern, die durch atmosphärisch geschriebene Texte begleitet werden. Verbunden mit dem leicht verständlichen und in nur wenigen Seiten vermittelten Einstiegsabenteuer entwickelt sich in Kürze das Bedürfnis, immer weiter zu spielen und herauszufinden, was als nächstes in Andor passiert. Zurecht darf sich Die Legenden von Andor mit mehreren Auszeichnungen schmücken, darunter auch „Kennerspiel des Jahres 2013“.
Eine Schwachstelle muss jedoch erwähnt werden: Die Legenden von Andor lässt sich zwar laut Packungsangabe mit zwei bis vier Spielern angehen – wirklich schaffbar, ohne allzu sehr auf die Gnade des Würfelgottes angewiesen zu sein, fühlten sich die Abenteuer aber erst ab drei oder besser vier Spielern an. Umso erfreulicher, dass mit Die Legenden von Andor – Chada und Thorn ein Ableger erschienen ist, der ganz und gar für zwei Spieler konzipiert wurde.
Kleine Packung – großes Spiel
Die beiden Spieler schlüpfen in die Rollen der namensgebenden Protagonisten. Chada ist eine Bogenschützin, ihr Mitstreiter Thorn ein klassischer Krieger. Gemeinsam befinden sie sich auf dem Rückweg in ihr Heimatland Andor, das – wie Kenner ja bereits wissen – zu dieser Zeit von garstigen Monstern angegriffen wird. Das Schicksal meint es jedoch anders mit den beiden und lässt ihr Schiff an den Klippen einer unbekannten Insel kentern. Dem Heldenduo bleibt also nichts anderes übrig, als sich zu Fuß über die Insel zu schlagen und eine neue Reisemöglichkeit nach Andor zu finden.
Für das Regelwerk ist nicht Michael Menzel selbst, sondern Gerhard Hecht verantwortlich, der mit „Kashgar“ und „Jäger + Späher“ bereits zwei Spiele abgeliefert hat, welche sehr gute Reviews abräumen konnten. Die Illustrationen stammen weiterhin von Menzel, weshalb sich „Andor“-Fans auch diesmal wieder auf gewohnt hochwertige Bilder freuen können. Wer die Schachtel von Die Legenden von Andor – Chada und Thorn das erste Mal öffnet, wird vielleicht etwas stutzig. Karten, Plättchen, Legendentafeln – alles, was zu einem guten „Andor“-Abenteuer gehört, ist in der kleinen Box enthalten. Aber wo steckt denn das Spielbrett? Das Rätsel löst sich beim Umdrehen der Legendentafeln. Diese enthalten nicht nur die nach wie vor gut geschriebenen Begleittexte, sondern mitunter auch Teile der Spielwelt. Es gibt jeweils eine Start-, eine Ziel- und mehrere Zwischen-Etappen, auf denen sich die Spielfiguren behaupten müssen. Der Clou: Es gibt zwar in manchen Abenteuern bis zu sechs Karten mit Zwischen-Etappen; zum Einsatz kommen jedoch in jeder Spielrunde nur zwei, die zufällig aus dem Vorrat gezogen wurden. Da sich die Zwischen-Etappen vom Aufbau her unterscheiden, wird jede Runde durch einen gewissen Zufallsfaktor gewürzt.
Strategie und Kooperation sind das A und O
Das Spiel setzt direkt nach dem Schiffbruch an und führt uns genauso vorbildlich und verständlich wie der große Bruder Die Legenden von Andor mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung durch das erste Abenteuer. Die auffälligste Änderung ist das „Deckbuilding“-System, welches weitaus mehr kann, als nur die Heldentafeln aus dem Urspiel zu ersetzen. Auf jeweils drei Stapeln pro Spieler legen diese alles an, was im Laufe des Abenteuers relevant wird. Zunächst einmal kommt auf jeden Stapel je eine Karte des eigenen Helden. Außerdem in den Stapel gehören Ausrüstungsgegenstände, die der Held im Laufe des Abenteuers findet, sowie Gegner, die ihm über den Weg laufen. Dahinter steckt eine ausgefuchste Mechanik: Spieler dürfen nur die drei jeweils oben liegenden Karten aktivieren. Diese wandern dann anschließend ans Ende des Stapels und dürfen erst erneut verwendet werden, wenn sie wieder oben liegen. Für den Spieler bedeutet das: Der Held kann nur dann eine Aktion ausführen, wenn eine der drei Heldenkarten gerade oben auf dem Stapel liegt. Gleiches gilt für Ausrüstung, Gegner und – sofern in der Partie vorhanden – Sonderkarten. Strategie wird dadurch zum A und O, denn wer nicht aufpasst, hat plötzlich drei Gegner oben liegen und ist völlig handlungsunfähig, weil zum Kämpfen eine aktive Heldenkarte benötigt wird.
Glücklicherweise sind die Helden zu zweit und können sich gegenseitig aus misslichen Lagen aushelfen. Auch in „Die Legenden von Andor – Chada und Thorn“ gibt es wieder die Möglichkeit gemeinsam zu kämpfen. Dafür werden einfach die Stärkewerte auf den Heldenkarten addiert und mit dem Stärkewert des oben liegenden Monsters verglichen. Sollte die geballte Kraft der beiden Helden nicht ausreichen, schaffen die Ausrüstungskarten Abhilfe, die ebenfalls zum Stärkewert hinzuaddiert werden dürfen. Besiegte Unholde werden zurück in die Schachtel verbannt, die restlichen verwendeten Karten ans Ende des jeweiligen Stapels und die Reise kann weitergehen. Letztere findet dann ihr Ende, wenn das Heldenduo die Zielfelder erreicht hat. Diese befinden sich wenig überraschend auf der Ziel-Etappentafel und sind mit den Bildern der beiden Helden markiert. Einfach nur vom Start zum Ziel laufen und nebenbei ein paar Monster kloppen? Wer denkt, dass sich das nach einem gemütlichen Spaziergang anhört, hat die Rechnung ohne die größte Bedrohung des gesamten Spiels gemacht: dem Fluch.
Der Fluch ist eine dunkle Gestalt, die als dritte Figur auf der Spielkarte erscheint. Während die beiden Helden versuchen ihr Ziel zu erreichen, folgt ihnen der Fluch auf Schritt und Tritt. Er ist kein normaler Gegner, lässt sich also nicht bekämpfen. Hat der Fluch einen der beiden Spieler eingeholt, ist das Spiel verloren. Das klingt erst einmal alles andere als fair, doch keine Sorge, auch hier hat sich der Autor Gerhard Hecht Gedanken gemacht. Der Fluch kann nicht erschlagen werden, doch Spieler können ihn immer wieder am Fortkommen hindern und so Abstand zwischen dem Fluch und den Helden aufbauen. Theoretisch gibt es sechs Fluchkarten, die sich in jeweils einem der Heldenstapel befinden. Liegt der Fluch oben im Stapel, muss er bewegt werden. Doch Spieler können auch Willenspunkte ausgeben, um die Fluchkarte ohne negative Auswirkungen zurück ans Stapelende zu schieben. Natürlich sind Willenspunkte ein knappes Gut und dürfen nicht gedankenlos verschwendet werden, so kommt es umso mehr darauf an, dass die beiden Spieler sich gut miteinander absprechen und gemeinsam an einem Strang ziehen, um den Fluch abwechselnd in Schach zu halten.
Die Legenden von Andor – Chada und Thorn ist weitaus mehr, als bloß eine geschrumpfte Version des Ur-“Andor“-Brettspiels. Was auf den ersten Blick starke Ähnlichkeiten aufweist, entpuppt sich letztendlich als ein völlig anderes Spiel, das jedoch dieselben Tugenden mitbringt, welche die Marke so beliebt gemacht haben. Da man für den Aufbau etwas Platz benötigt, eignet sich das Spiel eher weniger für lange Autofahrten und Flüge. Wer jedoch irgendwo eine kleine ebene Fläche für das Auslagen der Kartentafeln und Stapel sowie einen abenteuerlustigen Mitspieler finden kann, wird vielleicht erstaunt sein, wie schnell dieses durchdachte Kleinod seine Spieler in den Bann ziehen kann. Nicht nur für „Andor“-Fans eine klare Empfehlung!
Infobox:
- Titel: Die Legenden von Andor – Chada & Thorn
- Verlag: KOSMOS
- Release: 24.06.2015
- Spieler: 2
- Alter: 10+
- Dauer: 45 Minuten
- Autor: Gerhard Hecht
- Illustrator: Michael Menzel
- Inhalt: 36 großformatige Abenteuerkarten, 60 Spielkarten, 3 Figuren im Kunststoffhalter, 1 Bonusfigur, 20 Willenspunkteplättchen, 3 Lagerfeuerplättchen, 1 Spielregel
Bildrechte: KOSMOS Verlag und Lara Schulze