Nichts gegen die Berlinale, aber wer gute Filme liebt, kann auch mit den Kinostarts dieser Woche zufrieden sein. Gleich zwei amerikanische Filme tauchen in die repressive und rassistische Ära der 1950er Jahre ein. „Fences“, bei dem Denzel Washington Regie führt und die Hauptrolle spielt, hat vier Oscar-Nominierungen erhalten. „Empörung“ von James Schamus basiert auf dem gleichnamigen Roman von Philip Roth. Ein junger Mann jüdischer Abstammung aus New Jersey geht auf ein christliches College im Mittleren Westen, wo er mit der autoritären Atmosphäre nicht zurechtkommt.
Für ihre Rolle in dem schillernden Vergewaltigungsdrama „Elle“ hat Isabelle Huppert eine Oscar-Nominierung erhalten. Ebenfalls Chancen auf einen Oscar, in der Sparte Animationsfilm, hat die bewegende Heimkind-Geschichte „Mein Leben als Zucchini“. Der Spielfilm „Enklave“ erzählt mit grimmigem Sinn für das Absurde von einem Jungen, der 2004 in einer serbischen Enklave im Kosovo lebt und zur eigenen Sicherheit mit dem Panzer zur Schule gefahren wird. Lustiger geht es bei der satirischen Beziehungs- und Elternkomödie „Schatz, nimm du sie!“ zu, einem deutschen Remake des französischen „Mama gegen Papa – Wer hier verliert, gewinnt“. Auch die Fraktion der Sequels ist in dieser Woche mit „T2 Trainspotting“ und „John Wick: Kapitel 2“ gut vertreten.
Mein Leben als Zucchini
Regie: Claude Barras, Verleih: Polyband
Eigentlich heißt der neunjährige Junge, um den es hier geht, Icare. Aber seine alkoholkranke Mutter hat ihm den Spitznamen Zucchini gegeben. Und als sie dann die Treppe hinunterfällt und stirbt, hat er nur noch diesen Namen und eine leere Bierdose als Erinnerung an sie. Zucchini kommt in ein Kinderheim auf dem Land, in dem die Betreuer gut zu den Kindern sind, die so traurig und ratlos wie er selbst in die Zukunft blicken. Als die kleine Camille zurück zu ihrer schrecklichen Tante soll, lassen sich die Kinder etwas einfallen.
Der Film des Schweizers Claude Barras basiert auf einer Buchvorlage von Gilles Paris und fällt auf überraschende Weise aus dem Rahmen üblicher Animationsfilme. Die niedlichen Figuren mit den großen Köpfen und die stilisierten, einfachen Hintergründe geben der Stop-Motion-Animation einen verspielten Look. Aber die Geschichte ist auf einer Seite der Wirklichkeit angesiedelt, um die Kinderfilme in der Regel einen großen Bogen machen. Der Realismus des Films und sein Mut zur Traurigkeit und zum genauen Hinschauen verblüffen. Aber trotz des Unglücks, das Zucchini und den anderen widerfahren ist, bleibt die Erzählhaltung zuversichtlich bis optimistisch und es gibt auch was zu lachen. Dieses außergewöhnliche Werk ist allen Filmliebhabern zu empfehlen. Kinder sollten aber schon ungefähr im Alter der Protagonisten sein.
Elle
Regie: Paul Verhoeven, Verleih: MFA
Michèle (Isabelle Huppert) wird gleich zu Beginn des Films vergewaltigt, von einem maskierten Mann, der in ihr Haus eingedrungen ist. Sie geht nicht zur Polizei. Während sie sich fragt, wer er sein könnte und ob er wiederkommt, lebt die Leiterin einer Videospiel-Firma ihren normalen Alltag weiter. Sie trifft ihren Ex-Mann, ihren Sohn, ihren Lover und lädt die Nachbarn zum Essen ein. Michèle ist es gewohnt, ihre Gefühle nicht an die große Glocke zu hängen, seit dem Trauma, das ihre Kindheit überschattete. Und sie scheint auf alles gefasst zu sein. Das muss sie auch, denn der Täter ist in der Nähe.
Wo die Grenzlinie zwischen Erotik und Missbrauch, Lust und Zerstörung verläuft, ist in diesem Rape-Revenge-Thriller nie ganz klar. Michèle verhält sich nicht so, wie man das von einem Vergewaltigungsopfer in einem korrekten Film erwartet. Denn sie scheint das Spiel mit der Gewalt, der Gefahr und der Überwältigung zu mögen. Oder täuscht dieser Eindruck und sie wetzt heimlich die Messer? Verhoeven präsentiert einen schillernd rätselhaften Film, in dem sich das äußere Geschehen mit Michèles Fantasien mischt und eine verborgene Dynamik entsteht. Absolut sehenswert ist er aber wegen Isabelle Huppert, die diese undurchschaubare und sehr unabhängige Frauenfigur glaubhaft zum Leben erweckt.
Schatz, nimm du sie!
Regie: Sven Unterwaldt, Verleih: Wild Bunch
Die Ingenieurin Toni (Carolin Kebekus) und der Gynäkologe Marc (Maxim Mehmet) haben zwei gesunde Kinder, ein schönes Heim und sind beruflich erfolgreich. Aber dieses gemeinsame Leben beginnt sie zu langweilen und so beschließen sie, sich in aller Freundschaft scheiden zu lassen. Marc will beruflich für eine Weile ins Ausland und Toni auch. Sie beschließen, die Kinder entscheiden zu lassen, bei wem sie leben wollen. Der oder die Auserwählte, das ist der Deal, muss dann auf den Auslandstrip verzichten. Aber plötzlich befinden sich Toni und Marc in einem wüsten Rosenkrieg. Um es dem Partner so richtig zu zeigen, überbieten sie sich gegenseitig darin, die Kinder zu vergraulen.
Das deutsche Remake ist nicht minder gelungen als das französische Original „Mama gegen Papa – Wer hier verliert, gewinnt“. Unter Sven Unterwaldts Regie entfaltet sich gut gelaunter Witz, der das Prinzip aller Kämpfe um das Sorgerecht frech auf den Kopf stellt. Indem die Eltern hier so aus ihrer Rolle fallen, stoßen sie natürlich auch das Publikum vor den Kopf, aber nicht allzu sehr. Denn der Tonfall bleibt trotz satirischer Provokation heiter und verspielt. Mit ihren teilweise sehr schrägen, teilweise aber auch wieder realitätsnahen Figuren und Dialogen behauptet sich die Komödie auf solidem, mittlerem Unterhaltungsniveau.
Bianka Piringer
Fotoquelle(n): Polyband, MFA, Wild Bunch