In einer Woche, in der ein Blockbuster wie „Doctor Strange“ in die Kinos kommt, wird es für die anderen Kinostarts schwierig. Das betrifft wohl weniger die Bestseller-Verfilmung „Girl on the Train“, der ebenfalls ein großes Interesse gewiss sein kann, als die kleineren Produktionen. Dabei gibt es einen wahnsinnig aufregenden Dokumentarfilm im Programm, „Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich“. Mit ihm beweist sich wieder einmal, dass die spannendsten Geschichten das Leben selbst schreibt, auch wenn sie wie in diesem Fall voller Tragik sind. „Die Wildente“ nach dem Theaterstück von Henrik Ibsen entwickelt sich zu einem Psychodrama von wuchtiger Authentizität. Mit guten Komödien ist diese Kinowoche jedoch nicht gerade reich bestückt. Der US-Animationsfilm „Störche – Abenteuer im Anflug“ fällt noch ganz passabel aus, auch wenn seine Witze auffallend oft auf die erwachsenen Begleitpersonen des jungen Zielpublikums zugeschnitten sind. Aber die Komödie „Ostfriesisch für Anfänger“ über Migranten, die Plattdeutsch lernen müssen, dürfte mit ihrer Einfallslosigkeit für Kopfschütteln sorgen.
Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich
Regie: Marcus Vetter, Karin Steinberger, Verleih: farbfilm
Der Deutsche Jens Söring war ein junger, hochbegabter Student in Virginia, als das Ehepaar Haysom 1985 brutal ermordet wurde. Er war befreundet mit der Tochter Elizabeth Haysom, für ihn war es die große Liebe. Ein Jahr später wurde das Pärchen in England verhaftet und Jens Söring gestand den Mord. Später sagte er, dass er damit seine Freundin entlasten wollte und auf seinen Pass als Diplomatensohn vertraute. Elizabeth Haysom trennte sich von ihm und bezichtigte ihn selbst der Tat. Sie bekam eine 90-jährige Haftstrafe für die Anstiftung zum Mord. Söring wurde 1990 an die USA ausgeliefert, unter der Bedingung, nicht die Todesstrafe zu erhalten. Er beteuerte stets seine Unschuld und am Tatort fanden sich weder Fingerabdrücke, noch DNA-Spuren von ihm. Trotzdem sitzt Söring mit seinen mittlerweile 50 Jahren immer noch im Gefängnis. Alle Gesuche um Entlassung auf Bewährung oder um Überstellung nach Deutschland blieben erfolglos.
Die beiden Filmemacher führten ein vierstündiges Gespräch mit Söring im Gefängnis und trafen sich mit ehemaligen Ermittlern, Prozessbeobachtern und mit amerikanischen Juristen, die sich für die Freilassung des Deutschen einsetzen. Sie rollen den vertrackten Kriminalfall auf und zeigen, wie er sich in einen ebenso vertrackten Justizskandal mit unglaublichen Pannen und Versäumnissen verwandelte. Die geschickte Montage von Originalaufnahmen aus den Prozessen mit Interviewszenen und stilistischen Anleihen beim Spielfilm erzeugt eine atemberaubende Spannung. Das Beste aber ist, dass Vetter und Steinberger auch neuen Hinweisen nachgehen und mit ihnen belegen, dass der Mord noch lange nicht aufgeklärt ist. Weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass Söring Opfer eines Justizirrtums wurde, wühlt sein Schicksal auf. In diesem Fall darf noch nicht das letzte Wort gesprochen sein!
Girl on the Train
Regie: Tate Taylor, Verleih: Constantin Film
Rachel (Emily Blunt) sitzt Tag für Tag im Pendlerzug Richtung New York. Weil sie nie ganz nüchtern ist, zieht sie manchmal die Blicke Mitreisender auf sich. Dabei schaut die traurige Frau meistens nur still aus dem Fenster. Unter den schmucken Vororthäusern, die an ihr vorbeiziehen, ist auch das, in dem sie einst mit ihrem Ex-Mann Tom (Justin Theroux) lebte. Doch er ersetzte sie durch Anna (Rebecca Ferguson) und wurde Familienvater. Und dann kommt gleich dieses andere Haus in Sicht, in dem eine schöne blonde Frau (Haley Bennett) ihren Partner umarmt: Diese Megan ermöglicht es der Betrachterin Rachel, wenigstens von der perfekten Ehe zu träumen. Aber dann steht Megan eines Tages auf dem Balkon und küsst einen fremden Mann. Rachel steigt empört und volltrunken aus dem Zug, um ins Geschehen einzugreifen. Am nächsten Tag wird Megan vermisst und Rachel, die sich an nichts erinnern kann, will herausfinden, was geschehen ist.
In dieser Verfilmung des Bestsellers von Paula Hawkins wurde die Handlung von London nach New York verlegt, beziehungsweise in die scheinbar so heile Welt der Vororte mit den gepflegten Einfamilienhäusern. Eine junge Frau hat es darin nicht geschafft und geistert nun verbittert durch das Leben der anderen. Das kann nicht gut gehen. Die Unheil verkündende Atmosphäre zieht den Zuschauer radikal in eine undurchsichtige Thriller-Handlung hinein. Emily Blunt spielt großartig, während die verschachtelte Konstruktion des Films immer neue Rätsel serviert.
Die Wildente
Regie: Simon Stone, Verleih: Arsenal Filmverleih
Seit Jahrzehnten herrscht der Sägewerksbesitzer Henry (Geoffrey Rush) über eine australische Kleinstadt. Nun hat er die Schließung des Werks verkündet und wie so viele andere steht auch Familienvater Oliver (Ewen Leslie) vor der Frage, ob er fortziehen muss. Auf keinen Fall will er den Schulabschluss seiner über alles geliebten Tochter Hedvig (Odessa Young) gefährden. Oliver freut sich sehr, als sein Jugendfreund Christian (Paul Schneider), Henrys Sohn, aus Amerika zu Besuch kommt. Der Anlass ist Henrys Hochzeit mit seiner zweiten Frau. Oliver konnte seine beruflichen Träume nicht verwirklichen, ist aber privat glücklich. Christian hat keine Frau gefunden, die es an seiner Seite aushält und auch den Tod seiner Mutter nie verwunden, für den er seinem Vater die Schuld gibt. Sein Besuch setzt eine Kette von Enthüllungen in Gang, mit fatalen Folgen.
Das Spielfilmdebüt des australischen Regisseurs Simon Stone basiert auf dem klassischen Theaterstück von Henrik Ibsen. In eine australische Kleinstadt verlegt, entwickelt die Geschichte in dieser lebendigen Fassung eine starke emotionale Spannung. Die Tragödie bekommt das aufgefrischte Gewand eines Psychodramas, zu dem viele Akteure mit ihren Geheimnissen, Konflikten und Verstrickungen beitragen. Den Kindern ist oft nicht bewusst, wie sehr sie den Linien folgen, die die vorige Generation für sie vorgezeichnet hat. Wenn sie aus dem Kreislauf von Macht und Abhängigkeit ausbrechen wollen, über dem der reiche Patriarch thront, wird es für sie sehr schmerzlich. Die starken Darsteller und die zugkräftige Dramaturgie sorgen dafür, dass die Auseinandersetzung mit männlicher Identität, um die es hier im Grunde geht, bewegend ausfällt.
Bianka Piringer
Fotoquelle(n): farbfilm verleih, Constantin Film, Arsenal